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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 38. 7. Februar 1828.

Ueber die Verbrecherkolonien der Engländer in Australien, und über die Errichtung französischer Verbrecherkolonien.


Die reißenden Fortschritte, welche der Wohlstand der brittischen Verbrecherkolonien im Südmeere während eines Zeitraums von vierzig Jahren gemacht hat, verdienen die Aufmerksamkeit der Regierungen im höchsten Grade. Die Deportation überhaupt ist etwas altes, aber nirgends ist sie noch unter diesem wohlthätigen Gesichtspunkte erschienen. Bei den Römern kam sie als Maßregel der hohen Polizei unter den Nachfolgern August’s, ja unter diesem selbst schon auf, traf aber immer nur Einzelne, die den Haß mißtrauischer Despoten, oder die Verfolgung des Majestätsgesetzes auf sich gezogen hatten. In einem solchen Falle war ein unwirthbarer Felsen des mittelländischen Meers, Egyptens oder Mauritaniens Wüsten, die Mündungen der Donau und des Dniepers, Germaniens oder Britanniens Wälder, die Grenzen des Reichs gegen Arabien, am Euphrat oder am Caucasus das Sibirien, wo die Opfer einer launischen Justiz oft elender Weise verschmachten mußten. Von einer andern Seite zeigt uns besonders die Geschichte der asiatischen Eroberer die Deportation, wenn manchmal ganze Völkerstämme, um jeden Abfall derselben zum voraus unmöglich zu machen, ihren väterlichen Wohnsitzen entrissen und mitten unter das Volk der Eroberer versetzt wurden. Als ein Mittel, die politische Einheit großer aus heterogenen Bestandtheilen zusammengeraffter Reiche zu befestigen, mochte sich diese Art von Deportation einer rücksichtslosen Politik empfehlen. Im XV und XVI Jahrhundert, als die Schifffahrt mit einer bis dahin unbekannten Kühnheit die alten Grenzen des Oceans überschritt, bildete die Deportation von Verbrechern und Heimathlosen die ersten Elemente einer europäischen Bevölkerung beinahe auf allen Kolonialplätzen der Antillen, Süd- und Nordamerika’s. Aber diese Transporte von Verurtheilten waren nicht das Ergebniß politischer Combinationen oder einer ordentlichen peinlichen Gesetzgebung; die Gefängnisse thaten sich oft nur auf, um den Staat der lästigen Sorge für diese Elenden zu überheben, die dann, an fremden Küsten hülflos ausgesetzt, und ihrem Schicksale überlassen, entweder dem Mangel und der Noth unterlagen, oder mit Wuth sich auf die unglücklichen Gegenden stürzten, denen man statt Menschen eine neue Art Raubthiere zu Bewohnern gegeben hatte. England gab in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts der Welt das erste Beispiel eines tief gedachten und mit Beharrlichkeit durchgeführten Planes, der nicht nur das Land von schädlichen Gesellschaftgliedern säubern, sondern auch in der Strafe, welche den Missethäter vom Schauplatze seiner Verbrechen entfernte, das Mittel für die Besserung seines physischen und moralischen Zustands finden ließ. Das Alterthum schon hatte die Verbannung, womit nicht selten die Ausstoßung aus der gesitteten Welt scheinbar oder wirklich verbunden war, als die der Todesstrafe am nächsten kommende Strafe angesehen; die englische Gesetzgebung oder Rechtspraxis ließ sie in vielen Fällen, meist durch Vermittlung der königlichen Begnadigungsprärogative an die Stelle der Todesstrafe treten. Manche Kriminalisten, die statt der letzteren ein Surrogat ausfindig zu machen Bedacht nahmen, trifft der Vorwurf, daß sie aus vermeinter Gerechtigkeitsliebe, indem sie dem Staate das Recht, Lebensstrafen zu verhängen, absprachen, zu grausamern Strafen riethen, als der Tod ist. Wenn der Verbrecher die Schuld, vielleicht eines Augenblicks, einer Stunde, durch ein langsames, Jahre lang dauerndes Hinsterben in finstern Kerkern, aus denen keine Erlösung ist, abbüßen soll, so fragt man mit Grund, ob der Tod, der doch immer die Strafe der höchsten Verbrechen bleibt, nicht einer solchen lebenslänglichen Freiheitsberaubung vorzuziehen sey. Die Justiz giebt dadurch, daß sie dem Verbrecher das Leben läßt, die Möglichkeit zu, daß derselbe sich mit der Welt wieder versöhnen könne, ja sie gibt ihm als Pflicht auf, daß er sich mit ihr versöhnen solle, denn sonst hätte die Wohlthat des Lebens keinen Sinn; indem sie ihm aber jede Hoffnung zur Rückkehr unter die Menschen abschneidet, und ihn für immer an einem Ort aufbewahrt, wo keine freie Handlung, also auch keine Versöhnung möglich ist, so entzieht sie ihm Mittel und Zweck derselben, und geräth dadurch mit sich selbst in Widerspruch. Die Deportation, wie sie von den Britten verstanden worden ist, bringt in sofern die peinliche Rechtspflege in Einklang mit der Moral, als sie das dem Verbrecher geschenkte Leben zugleich für ihn selbst wie für den Staat nutzbar macht.

Doch die Sache hat mehr als eine Seite, von der sie sich empfiehlt. Großbritannien war, bei seiner Herrschaft über die Meere, vorzüglich das Land, dem wir hierüber Belehrung verdanken sollten. Der nordamerikanische Krieg war beendigt; das Mutterland hatte die Emancipation seiner Kolonien nicht hindern können, und nur

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_159.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)