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Das Ausland. 1,2.1828

katholischen Priester. Dieser, im Besitze eines so wichtigen Geheimnisses, gebrauchte es dazu, der geängsteten Frau nicht nur eine bedeutende Geldsumme abzupressen, sondern ihr auch die schändlichsten Vorschläge zu machen. Er ward mit Unwillen zurückgewiesen. Indessen ließ der Großvezier durch die öffentlichen Ausrufer dem, der irgend eine Nachricht über das Schicksal seines Sohnes geben könnte, eine große Belohnung versprechen. Der Priester verräth die beiden Ehegatten. Sie werden eingezogen und zum Geständnisse gebracht. Nun läßt der Großvezier den armenischen Patriarchen fragen, welche Strafe ein Diener des Altars verdiene, der seinem Eide zuwider ein in der Beicht ihm anvertrautes Geheimniß verrathe. Die Antwort lautet: Er ist des Feuertodes schuldig. Der Vezir gibt sofort Befehl, den Priester zu verbrennen; dann wendet er sich an die beiden Ehegatten: „Ich war Vater, aber ich bin auch gerecht. Geht! ich verzeihe euch; mein Sohn war schuldig.“ Hierauf ließ er überdieß der Armenierin die Summe zurückerstatten, die sie dem Priester gegeben hatte, um sein Stillschweigen damit zu erkaufen.

– Der gegenwärtige Sultan, Mahmud, geb. 1804, verdankt seine Gewalt der Ermordung seines Bruders Mustapha, der selbst wieder der Mörder jenes unglücklichen Selim III war. Mahmud verbindet mit einem großen Scharfblick eine seltene Festigkeit und Ausdauer. Sowohl bei den Unruhen zur Zeit von Selims Sturz als neuerlich bei der Auflösung der Janitscharen zeigte er eine Energie, die in ihrer furchtbaren Unbeugsamkeit ans wunderbare grenzte. Als die Janitscharen die Fahne des Aufruhrs erhoben, rief er wüthend aus: „Sie sollen alle niedergehauen werden, oder die Pflugschar geht über die Trümmer von Stambul!“ Man weiß, wie furchtbar er sein Wort gehalten hat.

Die vorherrschenden Momente seines Charakters sind Habsucht und Grausamkeit. Schon Tausende wurden ermordet, deren Reichthum ihr einziges Verbrechen war. „Möge das Schwert der Russen Euch vertilgen, und das christliche Europa den Halbmond von den Thürmen Konstantinopels reißen!“ soll ihm Duz-Oglu, ein reicher armenischer Bankier, unter den Qualen der Folterkammer zugerufen haben, in der er, mit zweien seiner Brüder, in des Sultans Gegenwart zu Tode gemartert wurde.

Ich war eines Tags (erzählt unser Reisender,) in Arnâut-Keny, einem Dorfe an den Ufern des Bosphorus. Vor einem schönen Hause entstand ein lebhaftes Gedränge, und als ich näher trat, sah ich einen Leichnam im Staube ausgestreckt. Auf den ersten Blick erkannte ich in dem Ermordeten einen Mann, den ich wenige Tage zuvor mit seiner ganzen Familie auf dem Bosphorus spazierenfahren gesehen hatte. Es war Chaptchi, einer der angesehensten jüdischen Bankiers von Konstantinopel. Verehrt von allen Israeliten, war er ihre Stütze, ihr Schutzengel; nie ging ein Unglücklicher ohne Trost und Hülfe von ihm. Aber er war reich, und keine Tugend konnte dieses Vergehen vergessen machen. Eines Tags trat ein Bostandschi-Baschi, in Begleitung einiger Offiziere des Serails, in seine Wohnung. Keine Gefahr ahnend empfängt sie Chaptchi mit der höchsten Freude über eine so unerwartete Ehre. Er läßt Pfeifen, Cafee, Confituren bringen, und die Türken unterhalten sich eine Viertelstundelang mit ihm auf die freundlichste Weise von der Welt. Plötzlich aber werfen sie sich über ihn; der Eine stopft ihm den Mund, der Zweite wirft ihm eine Schleife um den Hals, während der Dritte ein Stück Holz zwischen Schleife und Nacken schiebt, und, indem er mittelst desselben die Schnur zusammenzieht, den Unglücklichen erdrosselt. Sein Leichnam wird auf die Straße geworfen, sein Vermögen eine Beute des Sultans.

Die Afenduli, eine der ausgezeichnetsten griechischen Familien, bewohnten während des Winters Kuru thekme, ein freundliches Dorf am europäischen Ufer des Bosphorus, während der schönen Jahreszeit aber ein Landhaus auf den Prinzen-Inseln. Der Vater dieser Familie, ein ehrwürdiger Greis, hatte dem Sultan schon manchen nicht unbedeutenden Dienst geleistet. Die Afenduli waren gerade auf den Prinzen-Inseln, als der Großherr den Vater nebst seinen beiden Söhnen vor sich rufen ließ. Kaum in das Serail getreten, werden sie von den Henkern, welche stets den Thron des Sultans umgeben, ergriffen, auf ihr Landhaus nach Kuru thekme geschleppt, und in den tiefsten See des Gartens gestürzt. Ihre gesammte Habe aber ward sogleich für den Sultan in Beschlag genommen. Der Rest der Familie hatte indessen mit unbeschreiblicher Angst vergebens auf die Rückkehr der Abgegangenen gewartet. Endlich kommt ein Bote des Sultans an. Kaum wird er erblickt, so stürzt ihm Helena, eine der Töchter des Hauses entgegen, im Tone der Verzweiflung ausrufend: „Welche Nachricht bringt Ihr?“ „Beruhigt Euch, (antwortet der Türke mit freundlichem Lächeln) beruhigt Euch, Se. Hoheit hat Euern Vater und Eure Brüder mit Gnade überhäuft. Ihr brennt vor Begierde, sie kennen zu lernen. Gebt mir ein Geschenk und Ihr sollt befriedigt werden.“ Man bringt ihm die reichsten Geschenke. Er nimmt sie, verbindlich dankend, und sagt dann: „Die Afenduli sind todt. Eure Güter sind konfiscirt, und auch dieß Haus, unter dessen Dach wir stehen, gehört nicht mehr Euch.“

Vor allen fällt das Schwert der Tyrannei auf die Raiahs, d. i. die Armenier, die Juden und die Griechen. Indessen soll der Sultan manchmal göttliche Inspirationen haben, wobei er durch ein altes Gesetz berechtigt ist, ohne alle gerichtliche Prozedur, und ohne daß ein Muselmann irgend einen Widerspruch wagen dürfte, täglich vierzig seiner Unterthanen den Kopf abschlagen zu lassen.

Indessen sind es keineswegs Grausamkeiten dieser Art, was die Einwohner Konstantinopels gegen ihren Herrn erbittert hat; vielmehr war es besonders die Veränderung der Münze, welche den Aufruhr in die Gemüther brachte.

(Fortsetzung folgt.)

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_146.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)