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Das Ausland. 1,2.1828

zu stiften, die sich zugleich dem Studium der Wissenschaften, der Erziehung und der Verbreitung nützlicher Kenntnisse durch den Druck widmete, durfte er indessen hier keine Unterstützung hoffen. Er unternahm daher eine zweite Reise in die Hauptstadt des türkischen Reiches, wo er sich bald von zahlreichen Schülern umgeben sah, denen er, um alles Aufsehen zu vermeiden, insgeheim den Plan seiner Gesellschaft eröffnete. Darauf sandte er die Priester und Doktoren, die sich unter denselben fanden, in verschiedene Städte Armeniens, um zu predigen und zu lehren, und behielt nur die Jünglinge bei sich, die er in einem an die Kirche stoßenden Gebäude mit großem Eifer unterrichtete. – Noch in demselben Jahre machte er mit der Herausgabe von Büchern zur Beförderung der Aufklärung seiner Nation den Anfang, indem er die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis und einige andere Werke für seine Schüler drucken ließ. Aber schon hatte er Feinde, die seinen Absichten entgegenarbeiteten und ihn selbst als Unruhestifter der Pforte verdächtig zu machen suchten. Davon unterrichtet, begab er sich unter den Schutz des französischen Gesandten, der ihm einen sicheren Aufenthalt in einem Kapuzinerkloster verschaffte. Hier hörte er von Kaufleuten die vortreffliche Lage von Morea rühmen, das damals noch der venetianischen Republik unterworfen war, und faßte nach kurzem Besinnen den Entschluß, dahin seine neue Gesellschaft zu verpflanzen.

Alle Glieder derselben willigten ein; in einer Versammlung, die im September 1701 gehalten wurde, nahmen sie, um ihre Kongregation dauernd zu konstituiren, den Namen: „Adoptiv-Söhne der heiligen Jungfrau“ an, und erwählten Mechitar zu ihrem ersten Superior. Er sandte einen seiner Schüler voraus, ließ, nachdem dieser vortheilhafte Berichte über den Zustand des Landes gegeben hatte, andere unter verschiedenen Vorwänden folgen, und reiste mit den drei letzten, um sich den Nachforschungen seiner Feinde zu entziehen, in der Verkleidung eines Kaufmanns, zuletzt selbst nach Morea ab, wo er, nach einem Aufenthalte von mehreren Monaten auf der Insel Zante, im J. 1703 ankam, und in Napoli di Romania alle seine Schüler, sechzehn an der Zahl, wohlbehalten vereinigt fand.

(Fortsetzung folgt.)

Egypten unter Mehemed Ali.


(Fortsetzung.)

Indessen ist eine Politik, die sich solcher Mittel bedienen muß, daß sie die Sicherheit des Reichs blos in der fortdauernden Zerrüttung desselben findet, ein starker Beweis, wie tief die ottomannische Macht gesunken ist und wie schwach die Fugen sind, in welchen das Ganze noch zusammen hängt; aber zugleich dient dieses System wenigstens zur äußern Aufrechterhaltung des Ansehens der konstantinopolitanischen Centralregierung, indem sie selten einen Empörer so sehr auf das Aeußersten treibt, daß er geradezu und unumwunden den Befehlen des Sultans Trotz zu bieten wagte. Man hat gesehen, wie Ali Pascha von Janina, nachdem er schon geächtet und von dem Mufti mit dem Fluch und der Exkommunikation belegt war, sich noch alle Mühe gab, den Schein des Verbrechens der Felonie von sich abzuwälzen und nie anders als mit der tiefsten Ehrfurcht die Befehle seines Souveräns empfing, die er aber ohne seinen Kopf aufs Spiel zu setzen, nicht befolgen konnte. Dieß war ihm freilich nicht zuzumuthen in einer Zeit, wo der fromme Muselmann nicht mehr, wie ehedem, vom Glück der seidenen Schnur träumte, und dieselbe wie ein ein gütiges Geschenk des Todesengels betrachtete, der ihn nur auf so schnellerem und ehrenvollerem Wege zu den Freuden des Paradieses beförderte. Ebenso würde Mehemed Ali nicht ohne die höchste Noth zur offenen Empörung schreiten; Befehle des Sultans würde er zu umgehen suchen, er würde theilweise gehorchen, intrigiren, bestechen, kurz Zeit gewinnen. Mehemed Ali ist ein Türke, und als solcher ist er zu sehr überzeugt von dem Legitimitäts-Rechte der Familie Osmann’s, daß es ihn wohl nach möglich größter Machtvollkommenheit, nie aber nach förmlicher Unabhängigkeit gelüsten kann. Das Chalifat des Sultan’s, das dieser doch nicht vermöge seiner Abstammung vom Propheten, sondern nur als Schirmherr von dem Grabe desselben ausübt, würde Mehemed vielleicht, da seine Truppen die heiligen Städt Mekka und Medina besetzt halten, bei weiterer Verfolgung seiner ehrgeizigen Plane nicht im Wege stehen. Der Sultan von Egypten könnte eben so gut Chalife seyn als der Sultan von Konstantinopel.

Ein flüchtiger Blick, den wir auf die Geschichte der Muselmänner werfen, zeigt uns, daß die Macht und der kirchliche Einheitsbegriff des Chalifats dem Aufkommen neuer Souveränetäten zwar immer ungünstig, nie aber absolut hinderlich war. Als Mahadi Obeidallah das fatimitsche Chalifat in Egypten stiftete, bestand zu gleicher Zeit das abaßidische Chalifat zu Bagdad; und als ein unbescheidener Frager die Abstammung des Chalifen Moëz von den Aliden in Zweifel zog, so wies er auf seinen Säbel mit den Worten: das ist mein Stammbaum; und warf eine Hand voll Geld unter das Volk und sagte: das ist mein Adel. In der Folge schwang sich ein Usurpator auf den Stuhl des egyptischen Chalifen – der große Saladin. – Diese Beispiele, die sich noch mit vielen ähnlichen vermehren ließen, beweisen in Bezug auf Mehemed Ali wenigstens so viel, daß es keine religiös-politische Gründe seyn können, welche ihn von dem letzten Schritte zur Unabhängigkeit abhalten, da solche Gründe selbst der mahommedanischen Heldenzeit größtentheils fremd waren. Daß der Sultan die Macht nicht hätte, ihn mit Gewalt in der Botmäßigkeit zu halten, daß europäische Staaten ihn bei seinem Unternehmen unterstützen würden, ist kaum zu bezweifeln. Allein Mehemed Ali begnügt sich mit der faktischen Unabhängigkeit; als osmannischer Türke erkennt er in dem Osmaniden Mahmud seinen erblichen Herrn, und der Hülfe der Europäer traut er wahrscheinlich nicht. In der That gibt dem egyptischen Reich eine, ob auch nur lose Verbindung mit der Türkei, eine gewisse Sicherheit, die es bei völliger Unabhängigkeit entbehren müßte, indem dann jeder Feind Egyptens einen nicht unmächtigen Verbündeten an der hohen Pforte hätte.

(Forts. folgt.)
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_094.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)