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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

In einem einsamen Thale des fruchtbaren Landes Khorassan lebte der Landmann Abdolla. Er heirathete eine Person von seinem Stande, ein ganz einfaches Mädchen. Schade, daß der Vater durch den thörichten Einfall, ihr den hoffärtigen Namen Ziba[1] zu geben, den Samen der Eitelkeit in ihr Herz gestreut hatte. Sie nannte deswegen auch ihre beiden Kinder, Jusuf und Fatima: „Der berühmte Name,“ sprach sie, „den der Sohn Jakobs, der Weßir Faruns, der Bezauberer Suleika’s, trug, wird meinem Sohne wohl anstehen; und wenn ich das kleine Ding nach der Tochter des Propheten, nach der Frau des großen Ali, nenne, so darf es wohl zufrieden seyn.“

Bei diesem Großthun mit vornehmen Namen blieben aber Abdolla’s Vermögensumstände die armseligsten, seine Aussichten, die beschränktesten, die man sich denken kann; doch fühlte er sich nicht unglücklich: denn er war gesund und stark, und arbeitete für den Reis[2], dem das Land gehörte, worauf seine Hütte stand: so war er es von Jugend auf gewohnt, und nie hatte er sein Thal verlassen, auch nie daran gedacht, es zu verlassen. Der Lohn seiner Arbeit bestand in Getreide und in Kleidung, so viel er von beiden für sich und seine Familie brauchte; Geld kannte er nur dem Namen nach.

Eines Tags war der Reis mit Abdolla’s Fleiße so zufrieden, daß er ihm zehn Piaster zum Geschenk machte. Abdolla fand in seiner Freude über diesen plötzlichen Zufluß von Reichthum kaum Worte des Dankes. Sobald er von seinem Tagesgeschäft weg kommen konnte, eilte er nach Hause zu seinem Weib: „Hier, Ziba, sind Schätze für dich!“ und mit diesen Worten breitete er die Geldstücke vor ihr aus; die Ueberraschung und das Entzücken der guten Frau läßt sich schwer beschreiben; sie hatte im Augenblick keinen Gedanken, als ihre Kinder zu rufen, um sie an dem Jubel der Eltern Theil nehmen zu lassen. „Gut,“ sagte Abdolla, noch immer das Geld betrachtend, „das Nächste ist jetzt, daß wir ausmachen, was wir mit dieser großen Summe anfangen. Der Reis hat mir morgen einen Feyertag erlaubt, und ich will, denk’ ich, wenn es dir recht ist, liebes Weib, in die berühmte Stadt Mesched gehen; ich weiß es nicht so genau, aber es ist nicht über sechs oder sieben Fersekhs.[3] Zuerst verrichte ich dann meine Andacht am Grab des Gott wohlgefälligen Imam Mehdi, und als ein guter Moslim lasse ich ein Fünftheil von meinem Ueberfluß als Opfer zurück; mit dem Rest gehe ich auf den Bazar, von dem ich so Viel gehört habe, und kaufe Alles für euch ein. Jetzt sagt mir nur, was ihr am Liebsten möchtet.“

„Ich will bescheiden seyn,“ sagte Ziba; ich brauche bloß einen schönen Seidenzeug zu einem Kleid.“ „Mir,“ rief der wilde kleine Jusuf, „bring ein fein Pferd und einen Säbel.“ „Und mir,“ sagte Fatima, „ein indisches Halstuch und ein Paar goldene Pantoffel.“ „Morgen Abend sollt ihr Alles haben,“ erwiederte Abdolla, indem er seine glückliche Familie in seine Arme schloß. Und seinen schweren Knotenstock in der Hand trat er am folgenden Morgen seine Reise an.

Als Abdolla sich der heiligen Stadt näherte, war das Erste, was seine Aufmerksamkeit anzog, die glänzende Gruppe der vergoldeten Kuppeln und Minarets, die das Grab des Heiligen umschlossen. Jeder Schritt, den er vorwärts that, gab seiner Bewunderung neuen Stoff. So hatte er sich die Herrlichkeiten gedacht, die der Prophet seinen Gläubigen im Himmel verheißt, aber nie hätte er sich träumen lassen, daß auf Erden dergleichen Wunder zu finden wären! Er wanderte langsam durch die Straßen und konnte sich nicht satt sehen an den Prachtgebäuden. Als er endlich an das hohe Portal des Wallfahrts-Tempels kam, blieb er stehen und fragte einen ehrwürdigen Priester, der im Koran las, ob er hinein dürfe. „Gehe zu, mein Bruder,“ erwiederte der Alte, „und bringe deine Gabe dar; es wird dir einst vergolten werden; denn einer der frömmsten Kalifen sagt: das Gebet bringt den Mann halbwegs zum Paradies; das Fasten bis an die Pforten; aber dem milden Almosengeber öffnen sie sich.“

Nachdem der fromme Abdolla den fünften[4] Theil von seinem Schatz auf dem Schrein des heiligen Imam niedergelegt hatte; begab er sich nach dem Bazar. Der Anblick des lärmend sich durcheinander drängenden Volkes, der sich ihm hier darbot, die reich geschirrten Pferde, die glänzenden Aufzüge der Vornehmen, die schwer beladenen Kameele und Maulthiere, die den Raum zwischen den Buden einnahmen, wo alle Waaren aus Europa, Indien, China, der Tatarei und Persien zur Schau lagen – das war zu viel für seine Fassungskraft. Er stand mit stieren Augen und mit offenem Munde da, Alles anstaunend, und nur das Eine fühlend, daß er selbst eine höchst unbedeutende Person hier sey. Ob er gleich manche Fußstöße bekam, manchmal beinahe überritten wurde, so verging doch einige Zeit, bis er der Gefahr gewahr wurde, der er sich aussetzte. Die Umstände trugen indessen dazu bey, daß es ihm in den Gewühl nicht mehr behagen wollte und daß er sich entschloß, sein Geschäft schnell zu beendigen und ruhig nach Hause zurück zukehren.

Er trat an eine Bude, wo eine Menge Seidenstoffe lagen, wie er sie in dem Hause des Reis gesehen hatte, und fragte nach den schönsten. Der Kaufmann warf einen flüchtigen Blick auf seine Kleidung und dachte: gewiß so ein reicher Pächter vom Land; diese Leute haben Geld und verstehen die Waaren nicht und folglich sind sie meine besten Kunden. In dieser guten Meinung durchstöberte er sein ganzes Waarenlager und legte ein Stück um das andere heraus. Allein es waren der schönen Sachen zu viele da, als daß der gute Abdolla so schnell hätte zu

  1. Die Schöne.
  2. Der Gutsherr.
  3. Parasangen, eine = 4 engl. Meilen
  4. Von dem, was man nothwendig braucht, verlangt das Gesetz nur einen kleinen Abzug für die Armen; von überflüssigem Reichthum den fünften Theil. Abdolla war seiner Meinung nach in dem letztern Fall.
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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_0812.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)