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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

stand, „Ihr werdet doch nicht erwarten, daß der Kalife Eure Unwissenheit bezahle?“ „Gewiß nicht,“ war die Antwort; „der Kalife zahlt mich für das, was ich weiß, denn wollte er mich zahlen für das, was ich nicht weiß, so würden alle Schätze seines Reichs nicht zureichen.“

Zu meiner Verwunderung äußerte sich der orthodoxe Scheikh über die Sufis, die wegen ihrer wildphantastischen Lehrmeinungen den mahommedanischen Priestern im Allgemeinen ein Gräuel sind, ziemlich mild.

„„Es giebt manchen rechtschaffenen und musterhaften Mann in dieser Sekte, welcher unsere beiden Dichter, Hafiz und Sadi, hauptsächlich der erstere, angehören, und wer wollte in Schiras geboren seyn, der sie verdammen könnte? Wir bedauern die Irrthümer der Sufis um so mehr, als wir ihre Tugenden kennen, die selbst durch ihre Schwärmereien nicht verdunkelt werden. Man kann Viel von ihnen lernen: wie einfach und schön z. B. prägt Abd-ul-Kadir von Ghilan in der Geschichte [1] seiner Kindheit die Liebe zur Wahrheit ein.

„Abd-ul-Kadir hatte ein Gesicht gehabt, worin ihm die Bestimmung seines Lebens geoffenbaret worden war. Er bat daher seine Mutter, ihm zu erlauben, nach Bagdad zu gehen, um sich Gott zu weihen. Ich sagte ihr – dieß sind seine Worte – was ich gesehen hatte, und sie weinte; hierauf nahm sie achtzig Dinars aus dem Kasten und sprach, da ich noch einen Bruder hätte, so betrüge mein ganzes Erbe bloß halb so viel; sie gab mir meinen Antheil; „schwöre, rief sie aus, daß du nie eine Unwahrheit sagen willst;“ ich schwur: „Nun so gehe mein Sohn, ich vertraue dich deinem Gott; wir werden uns nicht mehr begegnen bis am Tage des Gerichts.“ –

Ich zog wohlgemuth meine Straße, bis ich in die Nähe von Hamadan kam, wo unsere Karavane von sechzig Reitern überfallen und geplündert wurde; ein Bursche fragte mich, was ich habe? – „Vierzig Dinars sind in mein Kleid eingenäht.“ Der Bursche lachte, ohne Zweifel, weil er meine Antwort für Scherz hielt. – „Was hast du?“ fragte ein Anderer. Ich gab dieselbe Antwort. Als die Beute getheilt wurde, führte man mich auf eine Anhöhe, wo der Anführer stand. „Was besitzest du von Eigenthum, Kleiner?“ – „Ich habe es schon Zweien von deinen Leuten gesagt, daß ich vierzig Dinars habe, die sorgfältig in mein wollenes Futter eingenäht sind.“ – Er ließ es aufschneiden und fand mein Geld. „Wie kömmt es, daß du so offen erklärst, was du so geheim verborgen hast?“ – „Weil ich meine Mutter nicht täuschen will, der ich versprochen habe, nie eine Lüge zu sagen.“ – „Kind,“ sagte der Räuber, „du hast in deinen Jahren ein solches Gefühl der Pflicht gegen deine Mutter und ich sollte in meinem Alter unempfindlich seyn gegen die Pflicht, die ich meinem Gott schuldig bin? Reich’ mir deine Hand, unschuldiger Knabe, daß ich meinen Schwur der Reue hineinlege.“ Er that es. Die Räuber sahen gerührt der Scene zu. „Weil du in den Irrgängen des Lasters unser Führer warst,“ sagte Einer zu ihm, „so sey es auch auf dem Pfade der Tugend,“ und auf seinen Befehl erstatteten sie das geraubte Gut, und schwuren Reue und Besserung in meine Hand.““

Der Eltschi drang in den Oberpriester, daß er ihm manchmal das Vergnügen seiner Unterhaltung schenken möchte; aber diese Einladung wurde auf eine Art und aus Gründen abgelehnt, die mich überzeugten, daß Mirza Aga-Mir nicht zu Viel gesagt hatte.

Wir verlebten eine glückliche Zeit in Schiras. Ein ländliches Fest auf einem schönen freien Platze bei Hazar Bagh, d. i. bei den tausend Gärten, wo wir auf einem Hügel von Rosenblättern, der mit feinen Teppichen überbreitet war, lagerten, wo die klaren Bächlein uns umrauschten und die Wohlgerüche überströmten, bildet eine liebliche Episode in dem Cyclus der Vergnügungen, womit der Prinz, sein Hof und die vornehmsten Einwohner der Stadt unsern Aufenthalt angenehm zu machen wetteiferten.

Den Tag vor unserer Abreise fand sich noch ein alter Bekannter, Derwisch Seffer, zum Besuche ein. Dieser merkwürdige Mann gilt für einen der besten Erzähler und Deklamatoren Persiens, desjenigen Landes in der Welt, das solche Talente am Meisten schätzt, und wo derjenige, der sie in ausgezeichnetem Grade besitzt, ein so sicheres und ehrenvolles Glück zu erwarten hat, als der erste dramatische Künstler in Europa. Derwisch Seffer, den der König mit seiner Gunst beehrt, hat eine äußerst melodische Stimme und diese hat er so in seiner Gewalt, daß er jeden Ton, den der zartesten weiblichen, wie der rauhesten männlichen Stimme, hervorbringt. Die Ausdrucksfähigkeit seines Gesichts ist eben so bewundernswerth, wie die seines Organs, seine Gebehrden sind voll Anmuth und immer dem Gegenstande angemessen. Sein Gedächtniß, das ihn nicht nur mit einer Masse von historischem Stoffe, sondern auch mit dem ganz reichen Vorrathe der poetischen Literatur Persiens versorgt, setzt ihn in den Stand, dem trockensten und unfruchtbarsten Gegenstand, durch Einschaltung passender Stellen oder durch freie Aneignung von Gedanken und Wendungen aus den vorzüglichsten Schriftstellern, augenblickliches Leben und Interesse zu verleihen. Man kann Derwisch Seffers Kunst mit der eines Improvisatore vergleichen, indem die Kunst beider aus zwei Elementen besteht, aus jener bloßen Reproduktionskraft, welche das Empfangene wieder giebt, und aus einer selbstständigen geistigen Thätigkeit, welche, wenn auch nicht neue Schöpfungen, doch neue Bildungen hervorruft.

Derwisch Seffer ermangelte nicht, vor dem Eltschi eine Probe seiner Kunst abzulegen, wobei er wahrscheinlich eben so sehr auf dessen Freigebigkeit, als sein Stolz auf dessen Bewunderung rechnen mochte. Nachdem er sich die gehörige Haltung gegeben, präludirte er mit einer schönen Stelle aus Nizami zum Preise des Talents, welches den edlen Sinn und die Weisheit abgeschiedener Geister unter Lebenden in fortdauernder Wirksamkeit erhält. Hierauf begann er seine Erzählung.

Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_0811.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)
  1. Vergl. Malcolm’s history of Persia Vol. II, p. 405.