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Das Ausland. 1,2.1828


der böse Genius der Schönen geschildert. Seit der Bekanntschaft mit ihm, die sehr vertraut wurde, sank die bisherige gutmüthig tolle Schwärmerin immer tiefer, wenn sie schon nachher wie vorher sehr vornehme Leute an ihren befleckten Triumphwagen zu fesseln wußte. – Neu, Fouche, Regnault Saint Jean d’Angely, Talleyrand und viele Andere hatten sich ihrer Gunst zu rühmen. – Als Probe mag hier Einiges aus dem Kapitel über Talleyrand angeführt werden. „Wenn er aufrecht steht,“ heißt es von diesem berühmten Minister, „so kann man seine guten Eigenschaft nur mit Beschränkung anerkennen; wenn er aber sitzt, und wenn man ihn sprechen hört, muß man ihn ohne Rückhalt loben. Hr. von Talleyrand ist ein Mann, den man auf dem Kanapee beurtheilen muß. – Es ist sehr möglich, daß die Meinung, die er von meinem Verstande zu haben schien, in mir den Zauber des seinigen noch erhöhte. Wahr ist, daß ich nie zum Minister ging, ohne wenigstens zwei Stunden bei ihm zuzubringen. – Meine Haare besonders erregten die anmuthsvolle Aufmerksamkeit des Hrn. von Talleyrand, und dienten ihm eines Tages zu einer seltsamen Arbeit. Seine Finger hatten die blonden Flechten so sehr bewundert, daß er sie gänzlich in Unordnung brachte. Niemand wird jedoch errathen, wie er die Ordnung wieder herstellte. Die Hand, welche Frankreichs Friedensschlüsse unterzeichnete, wollte selbst den eigensinningen Unwillen, den ich übe die Verwirrung meiner Haare empfand, besänftigen und mich wie eine Macht behandeln, der man den Krieg abkauft. Der Minister ergriff also meine flatternden Locken, eine nach der andern, rollte sie auf feines zartes Papier und steckte sie unter meinen Hut, indem er verlangte, ich sollte sein Werk in diesem Zustande lassen, bis ich nach Hause gekommen wäre. Ich trieb die Geduld so weit als er die Galanterie; und da ich bemerkte, daß er zu Papillotten sich einiger Bankozettel von 1000 Franken bediente, nahm ich eine Locke nach der andern und sagte: Monseigneur, hier ist noch eine. Diese Anekdote beweist die Anmuth, welche Hr. von Talleyrand selbst den Kleinigkeiten zu geben wußte. Es herrschte eine angenehme, obgleich unschuldige Vertraulichkeit unter uns.“

Außer dieser, wir glauben, ziemlich charakteristischen Anekdote, erwähnen wir noch, daß die Dame in ihren Bekenntnissen ein paar Scenen mit Napoleon beschreibt, aus denen man soviel vom Kaiser erfährt, daß er ihr Geschäft richtig zu schätzen wußte. – Vorher liebte sie den Helden des Jahrhunderts nicht, er hatte ja Moreau verfolgt; nachdem sie aber unter andern auch Napoleons Freigebigkeit kennen gelernt hatte, wurde sie seine begeisterte Verehrerin. Das Sonderbare bei dieser Erzählung wäre nur, daß Napoleon, nach jener unzweideutigen Bekanntschaft, diese Dido mehrerer Helden zur Hofdame bei seiner Schwester, der Großherzogin von Toscana, ernannt habe. Sollte hier nicht der Pferdefuß des Redacteurs der Memoiren zu erkennen seyn? In der That, diese Geschichten und was von dem Obristen Oudet und der militärischen Verschwörung gegen Napoleon vorgebracht wird, läßt kaum zweifeln, es habe diese Schrift den Zweck, das gegenwärtige Geschlecht frivoler Höflinge der Restauration dadurch zu unterhalten und zu trösten, daß man ihnen ein Gemählde der Schwachheiten der kaiserlichen Höflinge vorhält. Doch konnte diese Zeitgenossin nur Galanterien erzählen; von dem niedrigen Schacher mit Ehrenstellen, den Frau von Campestre aufdeckt, war an dem Hofe Napoleons so wenig eine Spur zu entdecken, als von dem politischen Einfluß zweideutiger Frauen. So genau nahm es vielleicht der republikanische Redacteur, der die Farben der Frivolität nur brauchte, um alle Höfe in schlimmen Ruf zu bringen. Dieß ist wenigstens die durchschimmernde Tendenz, die wir dem Buche haben absehen können, und wodurch es sich von den Memoiren der Frau von Campestre unterscheidet, welche die Sünden der legitimen Zeit an den Tag bringen sollen.

(Beschluß folgt.)

Tasso in Ferrara.
(Fortsetzung.)

Tasso, unfähig, das Leben als mechanische Bewegung zwischen konventionellen Formen zu fassen, konnte sich nur in persönliche Verhältnisse denken, in denen der Geist dem Geiste gleich frei, gleich edel, gleich berechtigt gegenübersteht. Unbefangen, wie die Hirten des romantischen Arcadiens, von dem die Dichter jener Zeit erzählten und sangen, trat er vor die fürstlichen Schwestern, Lucrezia und Leonora, bei denen sein Gönner, der Kardinal, ihn einführte. Die hohe Gestalt, die kräftigen Züge, der schnell aufleuchtende siegende Blick des glänzenden grauen Auges unter der hohen Stirn[1] empfahlen den arglosen Jüngling


  1. Gio. Battista Manso, Vita del Tasso. p. 241. Torquato Tasso war von hoher Gestalt, so daß er unter den Menschen von ansehnlicher Leibesgröße zu den größten und zu den am verhältnißmäßigsten gebildeten gerechnet werden konnte. Seine Haut war sehr weiß, aber durch seine Studien und Nachtwachen, und darauf durch seine Unglücksfälle und Krankheiten etwas bleich geworden. Die Farbe seiner Haare und seines Bartes hielt die Mitte zwischen dem Braunen und Blonden, so daß die einen etwas mehr in’s Dunkle, die andern in’s Lichte spielten, beide aber waren fein, zart und schlicht. Sein Haupt war groß, und die Stirn wie der Hinterkopf erhoben, aber in der Mitte beider Schläfe eher eingedrückt, als rund. Die Stirn war breit und viereckig, und in der Mitte erhob sie sich gegen den Haarwuchs, dessen er später durch das Alter größtentheils beraubt wurde. Die Brauen waren in Bogen gespannt, schwarz, sparsam und von einander getrennt. Die Augen groß im Verhältniß zum Kopfe und rund, aber länglich nach den Winkeln zu; die Pupillen waren von mittlerer Größe und von blau-grauer lebhafter Farbe, wie sie von Homers der Pallas zugeschrieben werden; in Blick und Bewegung ernst und oft sich nach oben erhebend, als wenn sie der Richtung des Geistes folgten, der meist zu himmlischen Dingen erhoben war. Die Ohren mittelmäßig, die Wangen eher länglich, als rund, und sowohl von Natur mager, als durch Krankheit farblos. Die Nase groß und gegen den Mund geneigt, der gleichfalls groß und löwenartig war. Die Lippen dünn und blaß, die Zähne weiß, groß und dicht; die Stimme klar und hell tönend, und am Ende der Rede tiefer. Er war sehr gewandt in der Rede, sprach aber eher langsam, als schnell, und pflegte oft die letzten [16] Worte zu wiederholen. Er lachte selten, nicht laut und eben nicht angenehm. Sein Kinn war viereckt, der Bart dicht, und von einer Farbe, die – wie wir gesagt haben – dem Kastanienbraunen nahe kam. Sein Hals war lang und dick und hielt den Kopf erhoben; Brust und Schultern breit, die Arme lang, nervig und gewandt; die Hände ziemlich groß, aber zart und weich, und die Finger so, daß sie sich leicht nach oben bogen. Die Beine und Füße waren lang und von groben Verhältnissen, aber mehr nervig, als fleischig, und eben so war auch der ganze Rumpf, obwohl im Verhältniß zu der Größe vollkommen genug, mit wenig Fleisch bedeckt. Alle seine Gliedmaßen waren so gewandt, daß er in allen ritterlichen Uebungen große persönliche Tapferkeit zeigte, indem er im Fechten, Reiten und Turnieren vor Keinem zu weichen brauchte. Aber dennoch machte er alle diese Bewegungen mit mehr Geschicklichkeit als Anmuth; daher man bei ihm die natürliche Lebendigkeit in so hohem Grade vermißte, als ihm die geistige eigen war.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_022.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)