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Das Ausland. 1,2.1828

Ueberrascht und gedankenvoll kehrt er zurück, betrachtet noch einmal genauer die Wände des Kerkers und hört, – nach einem Schwall von Redensarten zum Lobe Tasso’s und zum Ruhme des Hauses Este und des alten Glanzes von Ferrara, aus denen er abnimmt, daß man dem Sänger der Gierusalemma liberta und des Aminta hier eine Gelegenheit habe geben wollen, Betrachtungen über Fürstengunst und Höflingstreue zu machen, – zum Schluß: die fehlende Hälfte der Thür, gleich der ganzen Bettstelle, deren der gran Poeta sich bedient habe, sey zwar durch den Enthusiasmus der Herrn Reisenden bereits davongetragen und deshalb streng verboten worden, diesem übeln Beispiel zum Ruin des Spitals zu folgen; doch könne aus besonderer Rücksicht eine Ausnahme gemacht und gegen einige Erkenntlichkeit noch ein Theil von dem Rest der Thür zum Andenken abgelassen werden.

Die Inschrift, welche zur Zeit der französischen Occupation auf Veranlassung des Generals Miollis gesetzt wurde, enthält ungefähr eben so viele Unrichtigkeiten, als Zeilen; doch möchten wir darum die Sage, welche dem großen Tasso diese elende Zelle zum Aufenthalt anweist, keineswegs unbedingt verwerfen. Daß die Zelle eines der Gefängnisse des Hospitals war, ist so gewiß, als daß Tasso in einem derselben als Wahnsinniger verwahrt wurde; und dieß möchte doch zuletzt wohl noch das Wesentlichste und Merkwürdigste an der Sache bleiben.

Offenbare Uebertreibung zu Gunsten des Kerkers ist es, wenn die Inschrift versichert: Tasso habe in demselben sieben Jahre gesessen und Verse und Prosa geschrieben. Er wurde in seinem ersten Gefängniß nur von Mitte März 1579 bis in den December 1580 gehalten und darauf durch die Gunst seines Kerkermeisters, wie er sich selbst ausdrückt, in ein „viel bequemeres Gemach“ gebracht, welches indeß den Wunsch in ihm nicht ausschloß, zu demselben noch ein anstoßendes größeres Zimmer zu erhalten, „damit er auf und nieder gehend philosophiren könne.“ Diese Bitte wurde ihm, wie es scheint, gewährt; wie überhaupt seine Gefangenschaft, als ganz Italien sich für seinen Dichter zu interessiren anfing und den Fürsten mit Bitten um seine Befreiung bestürmte, allmälig milder wurde.

Daß Tasso in der ersten Zeit nach seiner unerwarteten Verhaftung eben nicht gestimmt seyn konnte, „Verse und Prosa“[1] zu schreiben, bedarf für den, der sich je in einer ähnlichen Lage befunden hat, wohl kaum einer Erklärung. In einem Briefe an seinen Freund Scipione Gonzaga, den er schrieb, nachdem er aus seiner anfänglichen starren Betäubung zu dem vollen Bewußtsein seines Unglücks erwacht war, klagte er: „O mir Armen! Ich hatte mir vorgenommen, außer zwei epischen Gedichten von dem erhabensten und würdigsten Stoff vier Tragödien zu schreiben, von denen ich den Plan bereits entworfen hatte, und viele Werke in Prosa über die schönsten und nützlichsten Gegenstände, in denen ich die Philosophie mit der Beredsamkeit auf eine Weise vereinigen wollte, daß von mir ewiges Gedächtniß in der Welt geblieben wäre; und so hatte ich mir das ehrenvollste und ruhmhafteste Ziel vorgesetzt. Aber jetzt unter dem Druck eines solchen Unglücks habe ich jeden Gedanken an Ruhm und Ehre aufgegeben, und ich würde sehr glücklich seyn, wenn ich mir nur ohne Verdacht den Durst stillen könnte, den ich beständig leide, und wenn ich gleich einem jener gewöhnlichen Menschen mein Leben in der ärmsten Herberge in Freiheit, und, wenn nicht gesund, was ich nicht mehr werden kann, doch nicht in diesem kummervollen Zustande zubringen dürfte; wenn nicht geehrt, wenigstens doch nicht verabscheut; wenn nicht mit den Rechten des Menschen, doch mit denen der Thiere wenigstens, die in den Flüssen und Quellen frei ihren Durst stillen, von welchem – und ich muß es wohl wiederholen – ich ganz entbrannt bin. Dennoch fürchte ich nicht so sehr die Größe des Uebels, als die Fortdauer, die schrecklich vor meinen Gedanken steht; zumal da ich fühle, daß ich in solcher Lage unfähig bin, etwas zu schreiben, oder zu thun. Und wie die Furcht beständiger Gefangenschaft, so vermehrt auch die Unwürdigkeit, die ich dulden muß, meine Betrübniß; und die Verwirrung meines Bartes und meiner Haare und meiner Kleider und der Schmutz und Unflath sind mir zum Abscheu. Ueber alles aber fällt mir die Einsamkeit schwer meine grausame und natürliche Feindin, von der ich auch in bessern Umständen zuweilen so belästigt wurde, daß ich zur ungelegensten Zeit ausging und mir Gesellschaft suchte.“[2]

Auch daß Tasso auf Verwendung der Stadt Bergamo seine Freiheit erhalten habe, wie die Inschrift uns belehrt ist eine Unrichtigkeit. Die Gesandten von Bergamo erhielten nur das Versprechen seiner Befreiung aus dem Kerker, wie dasselbe alle Andern erhalten hatten, die sich seit Jahren für Tasso verwandten; aber erfolgt wäre dieselbe wohl schwerlich eher, als mit der Befreiung aus dem Leben, wenn es nicht den unausgesetzten Bemühungen seiner Freunde, besonders des guten Mönchs Angelo Grillo und des Secretärs der Gesandschaft von Toscana, Antonio Costantini, gelungen wäre, einige Glieder der eigenen Familie des Fürsten für den unglücklichen Dichter zu gewinnen; und wenn zuletzt nicht Don Vincenzo Gonzaga, der Erbprinz von Mantova und Schwager Alfonsos sich mit seiner Ehre verbürgt hätte, daß Tasso nichts gegen das Haus Este schreiben oder unternehmen und Mantova nicht ohne besondere Erlaubniß verlassen würde.[3]


  1. Che oltre questa stanza, la qual per cortesia del Sig. Agostino m’ è stata data assai comoda, mi sia data l’altra che m’ è vicina, assai più ampia, ove possa filosofando passeggiare. Serassi, Vita di Torquato Tasso. In Roma, 1785. 4. pag. 307.
  2. Serassi, Vita di T. Tasso. pag. 284 sq.
  3. Neigebaur’s Handbuch für Reisende in Italien (Leipzig, 1820. 8. S. 300) wiederholt bei Ferrara, wie überall, redlich alle Fabeln, welche die italienischen Lohnbedienten von ihren Ortsmerkwürdigkeiten zu erzählen wissen. „In dem Sanct Annen-Hospital sieht man noch das Gefängniß, wo Tasso von seinem Gönner Alfons II. sieben Jahre als wahnsinnig eingesperrt wurde, weil er das Unglück gehabt hatte, die Schwester dieses Fürsten zu lieben. Er wurde 1586 auf Ansuchen der Stadt Bergamo befreit.“ Ein Seitenstück hiezu ist die schöne Geschichte von der Gemahlin Friedrich des Rothbarts in Mailand, die man, mit ähnlichen Curiositäten, in dem angeführten Werke selbst nachlesen mag. Für die Charakteristik des Ganzen, und um uns die Mühe zu ersparen, etwa künftig [7] noch einmal auf dasselbe zurückkommen zu müssen, ist hinreichend zu wissen, daß der Verfasser uns allen Ernstes versichert, es gebe in Italien keine Wälder, und daß die Devise seines Pfeifenkopfes: Sic transit gloria mundi! ihm zum Motto für seine scharfsinnigen Bemerkungen über Rom dienen muß. Das Erstere giebt einen Maaßstab für seine Kenntniß des Landes, das zweite für den Geist, mit dem er die Geschichte desselben auffaßt. Daß sein Werk indeß eine bedeutende Menge von zusammengetragenen Notizen enthält, wollen wir, um nicht ungerecht zu seyn, nicht in Abrede stellen.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_013.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)