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scharfes Auge und Urtheil, um ein ausgezeichneter Züchter zu werden. Ist er mit diesen Eigenschaften versehen, studirt er seinen Gegenstand Jahre lang und widmet ihm seine ganze Lebenszeit mit unbeugsamer Beharrlichkeit, so wird er Erfolg haben und große Verbesserungen bewirken. Mangelt ihm aber eine jener Eigenschaften, so wird er sicher nichts ausrichten. Es haben wohl nur wenige davon eine Vorstellung, was für ein Grad von natürlicher Befähigung und wie viele Jahre Übung dazu gehören, um nur ein geschickter Taubenzüchter zu werden.

Die nämlichen Grundsätze werden beim Gartenbau befolgt, aber die Abänderungen erfolgen hier oft plötzlicher. Doch glaubt Niemand, daß unsere edelsten Gartenerzeugnisse durch eine einfache Abänderung unmittelbar aus der wilden Urform entstanden seien. In einigen Fällen können wir beweisen, daß dies nicht geschehen ist, indem genaue Protokolle darüber geführt worden sind; um aber ein sehr beiläufiges Beispiel anzuführen, können wir uns auf die stetig zunehmende Größe der Stachelbeeren beziehen. Wir nehmen eine erstaunliche Veredlung in manchen Zierblumen wahr, wenn man die heutigen Blumen mit Abbildungen vergleicht, die vor 20–30 Jahren davon gemacht worden sind. Wenn eine Pflanzenrasse einmal wohl ausgebildet worden ist, so sucht sich der Samenzüchter nicht die besten Pflanzen aus, sondern entfernt nur diejenigen aus den Samenbeeten, welche am weitesten von ihrer eigenthümlichen Form abweichen. Bei Thieren findet diese Art von Auswahl ebenfalls statt, denn kaum dürfte Jemand so sorglos sein, seine schlechtesten Thiere zur Nachzucht zu verwenden.

Bei den Pflanzen gibt es noch ein anderes Mittel, die sich häufenden Wirkungen der Zuchtwahl zu beobachten, nämlich die Vergleichung der Verschiedenheit der Blüthen in den mancherlei Varietäten einer Art im Blumengarten; der Verschiedenheit der Blätter, Hülsen, Knollen oder was sonst für Theile in Betracht kommen, im Küchengarten, im Vergleiche zu den Blüthen der nämlichen Varietäten; und der Verschiedenheit der Früchte bei den Varietäten einer Art im Obstgarten, im Vergleich zu den Blättern und Blüthen derselben Varietätenreihe. Wie verschieden sind die Blätter der Kohlsorten und wie ähnlich einander die Blüthen! wie unähnlich die Blüthen der Pensées und wie ähnlich die Blätter! wie sehr weichen die Früchte der verschiedenen Stachelbeersorten in Größe, Farbe, Gestalt und Behaarung

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/57&oldid=- (Version vom 31.7.2018)