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den einfachsten und den vollkommensten Organen; wir können nicht behaupten, alle die mannichfaltigen Verbreitungsmittel der Organismen während des Verlaufes so zahlloser Jahrtausende zu kennen, oder angeben zu können, wie unvollständig die geologische Urkunde ist. Wie bedeutend aber auch diese mancherlei Schwierigkeiten sein mögen, so genügen sie meiner Ansicht nach doch nicht, um meine Theorie einer Descendenz mit nachheriger Modification umzustoßen.


Wenden wir uns nun nach der anderen Seite unseres Gegenstandes. Im Zustande der Domestication sehen wir eine große Variabilität, durch veränderte Lebensbedingungen verursacht oder wenigstens angeregt, häufig aber in einer so dunklen Art, daß wir versucht werden, die Abänderungen als spontane zu betrachten. Die Variabilität wird durch viele verwickelte Gesetze geleitet, durch Correlation des Wachsthums, Compensation, durch vermehrten Gebrauch und Nichtgebrauch von Theilen und durch die bestimmte Einwirkung der umgebenden Lebensbedingungen. Es ist sehr schwierig zu bestimmen wie viel Abänderung unsere Culturerzeugnisse erfahren haben; doch können wir getrost annehmen, daß deren Maß groß gewesen ist, und daß Modificationen auf lange Perioden hinaus vererblich sind. So lange als die Lebensbedingungen die nämlichen bleiben, haben wir Grund anzunehmen, daß eine Modification, welche sich schon seit vielen Generationen vererbt hat, sich auch noch ferner auf eine fast unbegrenzte Zahl von Generationen hinaus vererben kann. Andererseits haben wir Zeugnisse dafür, daß Veränderlichkeit, wenn sie einmal in’s Spiel gekommen, unter der Domestication für eine sehr lange Zeit nicht aufhört; wir wissen auch nicht, ob sie überhaupt je aufhört, denn unsere ältesten Culturerzeugnisse bringen gelegentlich noch immer neue Abarten hervor.

Der Mensch ruft Variabilität in Wirklichkeit nicht hervor, sondern er setzt nur unabsichtlich organische Wesen neuen Lebensbedingungen aus, und dann wirkt die Natur auf deren Organisation und verursacht Abänderungen. Der Mensch kann aber die ihm von der Natur dargebotenen Abänderungen zur Nachzucht auswählen und dieselben hierdurch in einer beliebigen Richtung häufen, und er thut dies auch wirklich. Er paßt auf diese Weise Thiere und Pflanzen seinem eigenen Nutzen und Vergnügen an. Er mag dies planmäßig oder

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/563&oldid=- (Version vom 31.7.2018)