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Die vorderen Gliedmaßen z. B., welche der Stammart als Beine gedient haben, mögen in Folge langwährender Modification bei einem Nachkommen zu den Diensten der Hand, bei einem anderen zu denen des Ruders und bei einem dritten zu solchen des Flügels angepaßt worden sein: aber nach den zwei obigen Principien werden die vorderen Gliedmaßen in den Embryonen dieser verschiedenen Formen nicht sehr modificirt worden sein, obschon in jeder die Vordergliedmaßen des reifen Thieres sehr verschieden sind. Was immer für einen Einfluß lange fortgesetzter Gebrauch oder Nichtgebrauch auf die Abänderung der Gliedmaßen oder anderer Theile irgend einer Species gehabt haben mag, so wird ein solcher Einfluß hauptsächlich oder allein das nahezu reife Thier betreffen, welches bereits zu seiner ganzen Thatkraft gelangt ist und sein Leben selbst fristen muß; und die so entstandenen Wirkungen werden sich im entsprechenden nahezu reifen Alter vererben. Das Junge wird daher nicht oder nur wenig durch die Wirkungen des vermehrten Gebrauchs oder Nichtgebrauchs modificirt sein.

In andern Fällen mögen die aufeinander folgenden Abänderungsstufen schon in sehr früher Lebenszeit erfolgen, oder jede solche Stufe wird in einer früheren Lebensperiode vererbt werden, als worin sie zuerst entstanden ist. In beiden Fällen wird das Junge oder der Embryo (wie die Beobachtung am kurzstirnigen Purzler zeigt) der reifen elterlichen Form vollkommen gleichen. Und dies ist in einigen ganzen Thiergruppen oder nur in gewissen Untergruppen die Regel, wie bei den Tintenfischen, Landmollusken, Süßwassercrustaceen, Spinnen, und in einigen Fällen der großen Classe der Insecten. Was nun die Endursache betrifft, warum das Junge in diesen Fällen keine Metamorphose durchläuft, so läßt sich erkennen, daß dies von den folgenden zwei Bedingungen herrührt; erstens davon, daß das Junge schon von sehr früher Entwickelungsstufe an für seine eigenen Bedürfnisse zu sorgen hatte, und zweitens davon, daß es genau dieselbe Lebensweise wie seine Eltern befolgte; denn in diesem Falle würde es für die Existenz der Art unabweislich sein, daß das Kind in derselben Weise wie seine Eltern modificirt würde. In Bezug ferner auf die merkwürdige Thatsache, daß so viele Land- und Süßwasserformen keine Metamorphose durchlaufen, während die marinen Glieder derselben Gruppen verschiedene Umgestaltungen erfahren, so hat Fritz Müller die Vermuthung ausgesprochen, daß der Proceß der langsamen

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/541&oldid=- (Version vom 31.7.2018)