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Polypenstöckchen entwickeln; und so fort in endlosen Kreisen? Die Ansicht von der wesentlichen Identität des Generationswechsels mit der gewöhnlichen Metamorphose hat neuerdings durch Wagner’s Entdeckung eine kräftige Stütze erhalten, wonach die Larve einer Cecidomyia, d. i. die Made einer Fliege, ungeschlechtlich andere ähnliche Larven und diese wiederum andere erzeugt, welche endlich in reife Männchen und Weibchen entwickelt werden, die ihre Art in der gewöhnlichen Weise durch Eier fortpflanzen.

Es mag der Erwähnung werth sein, daß ich, als Wagner’s Entdeckung zuerst bekannt wurde, gefragt wurde, wie es zu erklären möglich sei, daß die Larven dieser Fliegen das Vermögen der geschlechtslosen Vermehrung erlangt hätten. So lange der Fall einzig blieb, konnte keine Antwort gegeben werden. Es hat nun aber bereits Grimm gezeigt, daß eine andere Fliege, ein Chironomus, sich auf eine nahezu gleiche Art und Weise fortpflanzt; auch glaubt er, daß dies in der Ordnung häufig vorkomme. Es ist die Puppe und nicht die Larve des Chironomus, welche diese Fähigkeit hat; und Grimm zeigt ferner, daß dieser Fall in einer gewissen Ausdehnung „den von der Cecidomyia mit der Parthenogenesis der Cocciden verbindet,“ wobei der Ausdruck Parthenogenesis die Thatsache umfaßt, daß die reifen Weibchen der Cocciden fähig sind, ohne Zuthun der Männchen fruchtbare Eier zu legen. Man kennt jetzt gewisse zu verschiedenen Classen gehörige Thiere, welche das gewöhnliche Fortpflanzungsvermögen in einem ungewöhnlich frühen Alter besitzen. Wir brauchen nun bloß die parthenogenetische Reproduction durch allmähliche Abstufungen auf ein immer früheres Alter zurückzutreiben, – wobei uns Chironomus einen beinahe genau intermediären Zustand, nämlich die Puppe, zeigt, – und wir können vielleicht den wunderbaren Fall der Cecidomyia erklären.

Es ist schon bemerkt worden, daß verschiedene Theile desselben Individuums, welche sich in einer frühen embryonalen Zeit einander völlig gleich sind, im reifen Alter der Thiere sehr verschieden und zu ganz abweichenden Diensten bestimmt werden. Ebenso wurde erwähnt, daß die Embryonen der verschiedensten Arten und Gattungen derselben Classe einander allgemein sehr ähnlich, wenn aber vollständig entwickelt, sehr unähnlich sind. Ein besserer Beweis dieser letzten Thatsache läßt sich nicht anführen als der, welchen von Baer erwähnt, „daß die Embryonen von Säugethieren, Vögeln, Eidechsen,

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/533&oldid=- (Version vom 31.7.2018)