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Was endlich den vergleichsweisen Werth der verschiedenen Artengruppen, wie Ordnungen und Unterordnungen, Familien und Unterfamilien, Gattungen u. s. w. betrifft, so scheinen sie wenigstens bis jetzt ganz willkürlich zu sein. Einige der besten Botaniker, wie Bentham u. A., haben ausdrücklich deren willkürlichen Werth betont. Man könnte bei den Pflanzen wie bei den Insecten Beispiele anführen von Artengruppen, die von geübten Naturforschern erst nur als Gattungen aufgestellt und dann allmählich zum Rang von Unterfamilien und Familien erhoben worden sind, und zwar nicht deshalb, weil durch spätere Forschungen neue wesentliche, zuerst übersehene Unterschiede in ihrer Organisation ausgemittelt worden wären, sondern nur in Folge späterer Entdeckung vieler verwandter Arten mit nur schwach abgestuften Unterschieden.

Alle voranstehenden Regeln, Behelfe und Schwierigkeiten der Classification klären sich auf, wenn ich mich nicht sehr täusche, durch die Annahme, daß das natürliche System auf die Descendenz mit fortwährender Abänderung sich gründet, daß diejenigen Charactere, welche nach der Ansicht der Naturforscher eine echte Verwandtschaft zwischen zwei oder mehr Arten darthun, von einem gemeinsamen Ahnen ererbt sind, insofern eben alle echte Classification eine genealogische ist: – daß gemeinsame Abstammung das unsichtbare Band ist, wonach alle Naturforscher unbewußter Weise gesucht haben, nicht aber ein unbekannter Schöpfungsplan, oder der Ausdruck für allgemeine Beziehungen, oder eine angemessene Methode die Naturgegenstände nach den Graden ihrer Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit zu sortiren.

Doch ich muß meine Ansicht ausführlicher auseinandersetzen. Ich glaube, daß die Anordnung der Gruppen in jeder Classe, ihre gegenseitige Nebenordnung und Unterordnung streng genealogisch sein muß, wenn sie natürlich sein soll; daß aber das Maß der Verschiedenheit zwischen den verschiedenen Gruppen oder Verzweigungen, obschon sie alle in gleicher Blutsverwandtschaft mit ihrem gemeinsamen Erzeuger stehen, sehr ungleich sein kann, indem dieselbe von den verschiedenen Graden erlittener Modifikation abhängig ist; und dies findet seinen Ausdruck darin, daß die Formen in verschiedene Gattungen, Familien, Sectionen und Ordnungen gruppirt werden. Der Leser wird meine Meinung am besten verstehen, wenn er sich nochmals nach dem Schema im vierten Capitel umsehen will. Nehmen wir an, die Buchstaben A bis L stellen verwandte Genera vor, welche

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/510&oldid=- (Version vom 31.7.2018)