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ähnlicher Puncte gegründet zu sein, welche für die Definition zu gering sind. Gewisse zu den Malpighiaceen gehörige Pflanzen bringen vollkommene und verkümmerte Blüthen zugleich hervor; die letzten verlieren nach A. de Jussieu’s Bemerkung „die Mehrzahl der Art-, Gattungs-, Familien- und selbst Classencharactere und spotten mithin unserer Classification.“ Als aber Aspicarpa mehrere Jahre lang in Frankreich nur verkümmerte Blüthen lieferte, welche in einer Anzahl der wichtigsten Puncte der Organisation so wunderbar von dem eigentlichen Typus der Ordnung abweichen, da erkannte doch Richard scharfsinnig genug, wie Jussieu bemerkt, daß diese Gattung unter den Malpighiaceen zurückbehalten werden müsse. Dieser Fall scheint mir den Geist wohl zu bezeichnen, in welchem unsere Classificationen gegründet sind.

In der Praxis bekümmern sich aber die Naturforscher nicht viel um den physiologischen Werth des Characters, deren sie sich zur Definition einer Gruppe oder bei Einordnung einer Species bedienen. Wenn sie einen nahezu einförmigen und einer großen Anzahl von Formen gemeinsamen Character finden, der bei andern nicht vorkommt, so benutzen sie ihn als sehr werthvoll; kömmt er bei einer geringern Anzahl vor, so ist er von geringerem Werthe. Zu diesem Grundsatze haben sich einige Naturforscher offen als zu dem einzig richtigen bekannt, und keiner entschiedener als der vortreffliche Botaniker August St.-Hilaire. Wenn gewisse unbedeutende Charactere immer in Combination mit andern erscheinen, mag auch ein bedingendes Band zwischen ihnen nicht zu entdecken sein, so wird ihnen besonderer Werth beigelegt. Da in den meisten Thiergruppen wesentliche Organe, wie die zur Bewegung des Blutes, zur Athmung, zur Fortpflanzung bestimmten, nahezu von gleicher Beschaffenheit sind, so werden sie bei deren Classification für sehr werthvoll angesehen; wogegen wieder in andern Thiergruppen alle diese wichtigsten Lebenswerkzeuge nur Charactere von ganz untergeordnetem Werthe darbieten. So hat Fritz Müller neuerdings bemerkt, daß in derselben Gruppe der Crustaceen Cypridina mit einem Herzen versehen ist, während es in zwei nahe verwandten Gattungen, Cypris und Cytherea, fehlt: eine Species von Cypridina hat entwickelte Kiemen, während andere Arten keine besitzen.

Wir können beurtheilen, warum vom Embryo entnommene Charactere sich als von gleicher Wichtigkeit erweisen, wie die der erwachsenen Thiere; denn eine natürliche Classification umfaßt natürlich die

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/508&oldid=- (Version vom 31.7.2018)