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zu der Quelle, aus welcher Colonisten am leichtesten hergeleitet werden könnten, und deren spätere Modification, ist von der weitesten Anwendbarkeit in der ganzen Natur. Wir sehen dies auf jedem Berg, in jedem See, in jedem Marschlande. Denn die alpinen Arten, mit Ausnahme der durch die Glacialereignisse weithin verbreiteten Formen, sind mit denen der umgebenden Tiefländer verwandt; so haben wir in Süd-America alpine Colibris, alpine Nager, alpine Pflanzen u. s. f., aber alle von streng americanischen Formen; und es liegt auf der Hand, daß ein Gebirge während seiner allmählichen Emporhebung von den benachbarten Tiefländern aus colonisirt werden würde. So ist es auch mit den Bewohnern der Seen und Marschen, so weit nicht die große Leichtigkeit der Überführung denselben Süßwasserformen über die ganze Erdoberfläche vorzuherrschen gestattet hat. Wir sehen dasselbe Princip in den Characteren der meisten blinden Höhlenthiere Europas und Americas. Andere analoge Thatsachen könnten noch angeführt werden. Es wird sich nach meiner Meinung überall bestätigen, daß, wo immer in zwei wenn auch noch so weit von einander entfernten Gegenden viele nahe verwandte oder stellvertretende Arten vorkommen, auch einige identische Arten vorhanden sein werden, und wo immer viele nahe verwandte Arten vorkommen, da werden auch viele Formen sein, welche einige Naturforscher als besondere Arten und andere nur als Varietäten betrachten. Diese zweifelhaften Formen drücken uns die Stufen in der fortschreitenden Abänderung aus.

Diese Beziehung zwischen dem Vermögen und der Ausdehnung der Wanderung bei gewissen Arten (sei es in jetziger Zeit oder in einer früheren Periode) und dem Vorkommen anderer verwandter Arten in entfernten Theilen der Erde ergibt sich in einer andern, noch allgemeineren Weise. Gould sagte mir vor langer Zeit, daß von denjenigen Vogelgattungen, welche sich über die ganze Erde erstrecken, auch viele Arten eine weite Verbreitung besitzen. Ich vermag kaum zu bezweifeln, daß diese Regel allgemein richtig ist, obwohl dies schwer zu beweisen sein dürfte. Unter den Säugethieren finden wir sie scharf bei den Fledermäusen und in schwächerem Grade bei den hunde- und katzenartigen Thieren ausgesprochen. Wir sehen sie in der Verbreitung der Schmetterlinge und Käfer. Und so ist es auch bei den meisten Süßwasserformen, unter welchen so viele Gattungen aus den verschiedensten Classen über die ganze Erde reichen und viele einzelne Arten eine ungeheure Verbreitung besitzen. Es soll

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/496&oldid=- (Version vom 31.7.2018)