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sich doch fliegende Säugethiere fast auf jeder Insel ein. Neuseeland besitzt zwei Fledermäuse, die sonst nirgends in der Welt vorkommen; die Norfolk-Insel, der Viti-Archipel, die Bonins-Inseln, die Marianen- und Carolinengruppen und Mauritius: alle besitzen ihre eigenthümlichen Fledermausarten. Warum, kann man fragen, hat die angebliche Schöpfungskraft auf diesen entlegenen Inseln nur Fledermäuse und keine anderen Säugethiere hervorgebracht? Nach meiner Anschauungsweise läßt sich diese Frage leicht beantworten, da kein Landsäugethier über so weite Meeresstrecken hinwegkommen kann, welche Fledermäuse noch zu überfliegen im Stande sind. Man hat Fledermäuse bei Tage weit über den atlantischen Ocean ziehen sehen und zwei nordamericanische Arten derselben besuchen die Bermuda-Insel, 600 engl. Meilen vom Festlande, regelmäßig oder zufällig. Ich hörte von Mr. Tomes, welcher diese Familie näher studirt hat, daß viele Arten derselben eine ungeheure Verbreitung besitzen und sowohl auf Continenten als weit entlegenen Inseln zugleich vorkommen. Wir brauchen daher nur anzunehmen, daß solche wandernde Arten durch natürliche Zuchtwahl den Bedingungen ihrer neuen Heimath angemessen modificirt worden sind, und wir werden das Vorkommen von Fledermäusen auf oceanischen Inseln begreifen, bei Abwesenheit aller andrer Landsäugethiere.

Es besteht noch eine andere interessante Beziehung, nämlich die zwischen der Tiefe des, Inseln von einander und vom nächsten Festlande trennenden Meeres und dem Grade der Verwandtschaft der dieselben bewohnenden Säugethiere. Windsor Earl hat einige treffende, seitdem durch Wallace’s vorzügliche Untersuchungen bedeutend erweiterte Beobachtungen in dieser Hinsicht über den großen Malayischen Archipel gemacht, welcher in der Nähe von Celebes von einem Streifen sehr tiefen Meeres durchschnitten wird, der zwei ganz verschiedene Säugethierfaunen trennt. Auf beiden Seiten desselben liegen die Inseln auf mäßig tiefen untermeerischen Bänken und werden von einander nahe verwandten oder ganz identischen Säugethierarten bewohnt. Ich habe bisher nicht Zeit gefunden, diesem Gegenstand auch in andern Weltgegenden nachzuforschen; so weit ich aber damit gekommen bin, bleiben die Beziehungen sich gleich. Wir sehen z. B. Groß-Britannien durch einen seichten Canal vom europäischen Festlande getrennt, und die Säugethierarten sind auf beiden Seiten die nämlichen. Ähnlich verhält es sich mit vielen nur durch schmale

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/488&oldid=- (Version vom 31.7.2018)