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Die Arten aller Classen, welche oceanische Inseln bewohnen, sind nur wenig im Vergleich zu denen gleich großer Flächen festen Landes, wie Alphons DeCandolle in Bezug auf die Pflanzen und Wollaston hinsichtlich der Insecten zugeben. Neuseeland z. B., mit seinen hohen Gebirgen und mannichfaltigen Standorten und einer Breite von über 780 Meilen, und die davorliegenden Aucklands-, Campbell- und Chatham-Inseln enthalten zusammen nur 960 Arten von Blüthenpflanzen; vergleichen wir diese geringe Zahl mit denen einer gleich großen Fläche am Cap der guten Hoffnung oder im südwestlichen Neuholland, so müssen wir zugestehen, daß etwas von irgend einer Verschiedenheit in den physikalischen Bedingungen ganz Unabhängiges die große Verschiedenheit der Artenzahlen veranlaßt hat. Selbst die einförmige Grafschaft von Cambridge zählt 847 und das kleine Eiland Anglesea 764 Pflanzenarten; doch sind auch einige Farne und einige eingeführte Arten in diesen Zahlen mitbegriffen und ist die Vergleichung auch in einigen andern Beziehungen nicht ganz richtig. Wir haben Beweise, daß das kahle Eiland Ascension ursprünglich nicht ein halbes Dutzend Blüthenpflanzen besaß; jetzt sind viele dort naturalisirt worden, wie es eben auch auf Neuseeland und auf allen andern oceanischen Inseln, die nur angeführt werden können, der Fall ist. Auf St. Helena nimmt man mit Grund an, daß die naturalisirten Pflanzen und Thiere schon viele einheimische Naturerzeugnisse gänzlich oder fast gänzlich vertilgt haben. Wer also der Lehre von der selbständigen Erschaffung aller einzelnen Arten beipflichtet, der wird zugestehen müssen, daß auf den oceanischen Inseln keine hinreichende Anzahl bestens angepaßter Pflanzen und Thiere geschaffen worden sei; denn der Mensch hat diese Inseln ganz absichtslos aus verschiedenen Quellen viel besser und vollständiger als die Natur bevölkert.

Obwohl auf oceanischen Inseln die Zahl der Bewohner der Art nach dürftig ist, so ist das Verhältnis der endemischen, d. h. sonst nirgends vorkommenden Arten oft außerordentlich groß. Dies ergibt sich, wenn man z. B. die Anzahl der endemischen Landschnecken auf Madeira oder der endemischen Vögel im Galapagos-Archipel mit der auf irgend einem Continente gefundenen Zahl und dann auch die beiderseitige Flächenausdehnung miteinander vergleicht. Es hätte sich diese Thatsache schon theoretisch erwarten lassen; denn, wie bereits erklärt worden, sind Arten, welche nach langen Zwischenräumen

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/483&oldid=- (Version vom 31.7.2018)