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lange auf dem Meere treiben, ohne sofort verschlungen zu werden, und daß in ihrem Kropfe enthaltene Samen lange ihre Keimkraft behalten; Erbsen und Wicken z. B., welche sonst schon zu Grunde gehen, wenn sie nur wenige Tage im Meerwasser liegen, zeigten sich zu meinem großen Erstaunen noch keimfähig, als ich sie aus dem Kropfe einer Taube nahm, welche schon 30 Tage lang auf künstlich bereitetem Salzwasser geschwommen.

Lebende Vögel haben unfehlbar einen großen Antheil am Transport lebender Samen. Ich könnte viele Fälle anführen um zu beweisen, wie oft Vögel von mancherlei Art durch Stürme weit über den Ocean verschlagen werden. Wir dürfen wohl als gewiß annehmen, daß unter solchen Umständen ihre Fluggeschwindigkeit oft 35 Engl. Meilen in der Stunde betragen mag, und manche Schriftsteller haben sie viel höher angeschlagen. Ich habe nie eine nahrhafte Samenart durch die Eingeweide eines Vogels passiren sehen, wogegen harte Samen und Früchte unangegriffen selbst durch die Gedärme des Truthuhns gehen. Im Laufe von zwei Monaten sammelte ich in meinem Garten aus den Excrementen kleiner Vögel zwölf Arten Samen, welche alle noch gut zu sein schienen, und einige von ihnen, die ich probirte, haben wirklich gekeimt. Wichtiger ist jedoch folgende Thatsache: Der Kropf der Vögel sondert keinen Magensaft aus und benachtheiligt nach meinen Versuchen die Keimkraft der Samen nicht im mindesten. Nun sagt man, daß, wenn ein Vogel eine große Menge Samen gefunden und gefressen hat, die Körner nicht vor zwölf oder achtzehn Stunden in den Magen gelangen. In dieser Zeit aber kann ein Vogel leicht 500 Meilen weit fortgetrieben werden; und wenn Falken, wie sie gern thun, auf den ermüdeten Vogel Jagd machen, so kann dann der Inhalt seines Kropfes bald umhergestreut sein. Nun verschlingen einige Falken und Eulen ihre Beute ganz und brechen nach zwölf bis zwanzig Stunden unverdaute Ballen wieder aus, die, wie ich aus Versuchen in den zoologischen Gärten weiß, oft noch keimfähige Samen enthalten. Einige Samen von Hafer, Weizen, Hirse, Canariengras, Hanf, Klee und Mangold keimten noch, nachdem sie zwölf bis einundzwanzig Stunden in dem Magen verschiedener Raubvögel verweilt hatten, und zwei Mangoldsamen wuchsen sogar, nachdem sie zwei Tage und vierzehn Stunden dort gewesen waren. Süßwasserfische verschlingen, wie ich weiß, Samen verschiedener Land- und Wasserpflanzen; Fische werden oft von Vögeln verzehrt, und so können jene Samen von

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/456&oldid=- (Version vom 31.7.2018)