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noch weniger Genera und Species abgeänderte Nachkommen in gerader Linie hinterlassen.


Zusammenfassung des vorigen und des jetzigen Capitels.

Ich habe zu zeigen gesucht, daß die geologische Urkunde äußerst unvollständig ist; daß erst nur ein kleiner Theil der Erdoberfläche sorgfältig geologisch untersucht worden ist; daß nur gewisse Classen organischer Wesen zahlreich in fossilem Zustande erhalten sind; daß die Anzahl der in unseren Museen aufbewahrten Individuen und Arten gar nichts bedeutet im Vergleiche mit der unberechenbaren Zahl von Generationen, die nur während einer einzigen Formationszeit aufeinander gefolgt sein müssen; daß an mannigfaltigen fossilen Species reiche Bildungen, mächtig genug um künftiger Zerstörung zu widerstehen, sich beinahe nothwendig nur während der Senkungsperioden ablagern konnten und daher große Zeitzwischenräume zwischen den meisten unserer aufeinander folgenden Formationen verflossen sind; daß wahrscheinlich während der Senkungszeiten mehr Aussterben und während der Hebungszeit mehr Abändern organischer Formen stattgefunden hat; daß der Bericht aus diesen letzten Perioden am unvollständigsten erhalten ist; daß jede einzelne Formation nicht in ununterbrochenem Zusammenhang abgelagert worden ist; daß die Dauer jeder Formation wahrscheinlich kurz ist im Vergleich zur mittleren Dauer der Artformen; daß Einwanderungen einen großen Antheil am ersten Auftreten neuer Formen in irgend einer Gegend oder Formation gehabt haben; daß die weit verbreiteten Arten am meisten variirt und am öftesten Veranlassung zur Entstehung neuer Arten gegeben haben; daß Varietäten anfangs nur local gewesen sind. Endlich ist es, obschon jede Art zahlreiche Übergangsstufen durchlaufen haben muß, wahrscheinlich, daß die Zeiträume, während deren eine jede der Modification unterlag, zwar zahlreich und nach Jahren gemessen lang, aber mit den Perioden verglichen, in denen sie unverändert geblieben sind, kurz gewesen sind. Alle diese Ursachen zusammengenommen werden es großentheils erklären, warum wir zwar viele Mittelformen zwischen den Arten einer Gruppe finden, aber nicht endlose Varietätenreihen die erloschenen und lebenden Formen in den feinsten Abstufungen mit einander verketten sehen. Man sollte auch beständig im Sinn behalten, daß zwei oder mehrere Formen mit einander verbindende Varietäten, die gefunden würden, wenn man nicht die ganze Kette vollständig

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/438&oldid=- (Version vom 31.7.2018)