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Das Problem, ob die Organisation im Ganzen fortgeschritten ist, ist in vieler Hinsicht außerordentlich verwickelt. Der geologische Bericht, schon zu allen Zeiten unvollständig, reicht nicht weit genug zurück, um mit nicht miszuverstehender Klarheit zu zeigen, daß innerhalb der bekannten Geschichte der Erde die Organisation große Fortschritte gemacht hat. Sind doch selbst heutzutage, wenn man die Glieder der nämlichen Classe betrachtet, noch die Naturforscher nicht einstimmig, welche Formen als die höchsten zu betrachten sind. So sehen einige die Selachier oder Haie wegen einiger wichtigen Beziehungen ihrer Organisation zu der der Reptilien als die höchsten Fische an, während Andere die Knochenfische als solche betrachten. Die Ganoiden stehen in der Mitte zwischen den Haien und Knochenfischen. Heutzutage sind diese letzten an Zahl weit vorwaltend, während es vordem nur Haie und Ganoiden gegeben hat; und in diesem Falle wird man sagen, die Fische seien in ihrer Organisation vorwärts geschritten oder zurückgegangen, je nachdem man sie mit dem einen oder dem andern Maßstabe mißt. Aber es ist ein hoffnungsloser Versuch die Höhe von Gliedern ganz verschiedener Typen gegen einander abzumessen. Wer vermöchte zu sagen, ob ein Tintenfisch höher als die Biene stehe: als dieses Insect, von dem der große Naturforscher v. Baer sagt, daß es in der That höher als ein Fisch organisirt sei, wenn auch nach einem andern Typus. In dem verwickelten Kampfe um’s Dasein ist es ganz glaublich, daß solche Kruster z. B., welche in ihrer eigenen Classe nicht sehr hoch stehen, die Cephalopoden, diese vollkommensten Weichthiere, überwinden würden; und diese Kruster, obwohl nicht hoch entwickelt, würden doch sehr hoch auf der Stufenleiter der wirbellosen Thiere stehen, wenn man nach dem entscheidendsten aller Kriterien, dem Gesetze des Kampfes um’s Dasein urtheilt. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die es an und für sich hat zu entscheiden, welche Formen die in der Organisation fortgeschrittensten sind, haben wir nicht allein die höchsten Glieder einer Classe in je zwei verschiedenen Perioden (obwohl dies gewiß eines der wichtigsten oder vielleicht das wichtigste Element bei der Abwägung ist), sondern wir haben alle Glieder, hoch und nieder, in diesen zwei Perioden mit einander zu vergleichen. In einer alten Zeit wimmelte es von vollkommensten sowohl als unvollkommensten Weichthieren, von Cephalopoden und Brachiopoden; während heutzutage diese beiden Ordnungen sehr zurückgegegangen und die zwischen ihnen in der Mitte stehenden Classen mächtig

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/433&oldid=- (Version vom 31.7.2018)