Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/312

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

daß, obwohl Tachytes nigra gewöhnlich ihre eigene Höhle macht und darin noch lebende oder gelähmte Beute zur Nahrung ihrer eigenen Larven in Vorrath niederlegt, dieselbe doch, wenn sie eine schon fertige und mit Vorräthen versehene Höhle einer andern Sphex findet, davon Besitz ergreift und für diesen Fall Parasit wird. In diesem Falle, wie bei dem Molothrus und dem Kuckuck, sehe ich keine Schwierigkeit, daß die natürliche Zuchtwahl aus dem gelegentlichen Brauche einen beständigen machen könnte, wenn er für die Art nützlich ist und wenn nicht in Folge dessen die andere Insectenart, deren Nest und Futtervorräthe sie sich räuberischer Weise aneignet, dadurch vertilgt wird.

Instinct Sclaven zu machen. Dieser merkwürdige Instinct wurde zuerst bei Formica (Polyerges) rufescens von Pierre Huber beobachtet, einem noch besseren Beobachter als sein berühmter Vater gewesen war. Diese Ameise ist unbedingt von ihren Sclaven abhängig; ohne deren Hülfe würde die Art sicherlich schon in einem Jahre gänzlich zu Grunde gehen. Die Männchen und fruchtbaren Weibchen arbeiten durchaus nicht. Die arbeitenden oder unfruchtbaren Weibchen dagegen, obgleich sehr muthig und thatkräftig beim Sclavenfangen, thun nichts anderes. Sie sind unfähig, ihre eigenen Nester zu machen oder ihre eigenen Larven zu füttern. Wenn das alte Nest unpassend befunden und eine Auswanderung nöthig wird, entscheiden die Sclaven darüber und schleppen dann ihre Herren zwischen den Kinnladen fort. Diese letztern sind so äußerst hülflos, daß, als Huber deren dreißig ohne Sclaven, aber mit einer reichlichen Menge des von ihnen am meisten geliebten Futters und zugleich mit ihren Larven und Puppen, um sie zur Thätigkeit anzuspornen, zusammensperrte, sie nichts thaten; sie konnten nicht einmal sich selbst füttern und starben großentheils Hungers. Huber brachte dann einen einzigen Sclaven (Formica fusca) dazu, der sich unverzüglich an’s Werk machte, die Larven pflegte und Alles in Ordnung brachte. Was kann es Außerordentlicheres geben, als diese wohlverbürgten Thatsachen? Hätte man nicht noch von einigen andern sclavenmachenden Ameisen Kenntniß, so würde es ein hoffnungsloser Versuch gewesen sein, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie ein so wunderbarer Instinct zu solcher Vollkommenheit gedeihen könne.

Eine andere Ameisenart, Formica sanguinea, wurde gleichfalls

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/312&oldid=- (Version vom 31.7.2018)