Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein | |
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Betrachtung. Indessen eine Classe von Thatsachen, nämlich das plötzliche Erscheinen neuer und verschiedener Lebensformen in unseren geologischen Formationen, unterstützt auf den ersten Blick den Glauben an plötzliche Entwickelung. Aber der Werth dieses Beweises hängt gänzlich von der Vollkommenheit der geologischen Berichte in Bezug auf Perioden ab, welche in der Geschichte der Welt weit zurückliegen. Ist dieser Bericht so fragmentarisch, wie viele Geologen nachdrücklich behaupten, dann liegt darin nichts Besonderes, daß neue Formen wie plötzlich entwickelt erscheinen.
Wenn wir nicht so ungeheure Umbildungen zugeben, wie die von Mr. Mivart vertheidigten, wie die plötzliche Entwickelung der Flügel der Vögel oder Fledermäuse, oder die plötzliche Umwandlung eines Hipparion in ein Pferd, so wirft der Glaube an abrupte Modificationen kaum irgend welches Licht auf das Fehlen von Zwischengliedern in unsern geologischen Formationen. Aber gegen den Glauben an derartige abrupte Veränderungen legt die Embryologie einen gewichtigen Protest ein. Es ist notorisch, daß die Flügel der Vögel und Fledermäuse und die Beine der Pferde und anderer Vierfüßer in einer frühen embryonalen Periode ununterscheidbar sind und durch unmerkbar feine Abstufungen differenzirt werden. Wie wir später sehen werden, lassen sich embryonale Ähnlichkeiten aller Art dadurch erklären, daß die Urerzeuger unserer existirenden Species nach der frühen Jugend variirt und ihre nun erlangten Charactere ihren Nachkommen in einem entsprechenden Alter überliefert haben. Der Embryo ist hiernach beinahe unberührt gelassen worden und dient als Geschichte des vergangenen Zustandes der Species. Daher kommt es, daß jetzt existirende Species während der frühen Stufen ihrer Entwickelung so häufig alten und ausgestorbenen, zu der nämlichen Classe gehörenden Formen ähnlich sind. Nach dieser Ansicht von der Bedeutung embryonaler Ähnlichkeiten, und in der That auch nach jeder andern, ist es unglaublich, daß ein Thier solche augenblickliche und abrupte Umbildungen, wie die oben angedeuteten, erfahren haben sollte, ohne daß es in seinem embryonalen Zustand auch nur eine Spur irgend einer plötzlichen Modification darböte, da eben jede Einzelnheit seines Körperbaues durch unmerkbar feine Abstufungen entwickelt wurde.
Wer da glaubt, daß irgend eine alte Form plötzlich durch
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/295&oldid=- (Version vom 31.7.2018)