Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/287

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

In Bezug auf die sensitive Beschaffenheit der Blatt- und Blüthenstengel und der Ranken sind nahezu dieselben Bemerkungen anwendbar wie in dem Falle der vollendeten Bewegungen kletternder Pflanzen. Da eine ungeheure Anzahl von Pflanzen, welche zu weit von einander entfernt stehenden Gruppen gehören, mit dieser Art der Empfindlichkeit ausgerüstet sind, so sollte man sie in einem eben erwachenden Zustande bei vielen Pflanzen finden, welche nicht Kletterer geworden sind. Dies ist der Fall: ich beobachtete, daß die jungen Blüthenstiele der oben erwähnten Maurandia sich ein wenig nach der Seite hin bogen, welche berührt wurde. Morren fand bei verschiedenen Species von Oxalis, daß sich die Blätter und ihre Stiele, besonders wenn sie einer heissen Sonne ausgesetzt gewesen waren, bewegten, sobald sie leise und wiederholt berührt wurden oder wenn die Pflanze erschüttert wurde. Ich wiederholte diese Beobachtungen an einigen andern Species von Oxalis mit demselben Resultat; bei einigen von ihnen war die Bewegung deutlich, war aber am besten an den jungen Blättern zu sehen; bei andern war sie äußerst unbedeutend. Es ist eine noch bedeutungsvollere Thatsache, daß nach der hohen Autorität Hofmeister’s die jungen Schößlinge und Blätter aller Pflanzen sich bewegen, wenn sie geschüttelt worden sind; und bei kletternden Pflanzen sind, wie man weiß, nur während der frühen Wachsthumsstadien die Stengel und Ranken sensitiv.

Es ist kaum möglich, daß die oben erwähnten unbedeutenden, in Folge einer Berührung oder Erschütterung an den jungen und wachsenden Organen von Pflanzen auftretenden Bewegungen für sie von irgend einer functionellen Bedeutung sein können. Pflanzen zeigen aber Bewegungsvermögen, in Abhängigkeit von verschiedenen Reizen, welche von offenbarer Bedeutung für sie sind, z. B. nach dem Lichte hin und seltener vom Lichte weg, gegen die Anziehung der Schwerkraft oder seltener in der Richtung derselben. Wenn die Nerven und Muskeln eines Thieres durch Galvanismus oder durch Absorption von Strychnin gereizt werden, so kann man die darauf folgenden Bewegungen zufällige nennen; denn die Nerven und Muskeln sind nicht speciell empfindlich für diese Reize gemacht worden. So scheint es auch bei Pflanzen zu sein; da sie das Vermögen der Bewegung als Antwort auf gewisse Reize haben, so werden sie durch eine Berührung oder Erschütterung in einer zufälligen Art gereizt. Es liegt daher keine große Schwierigkeit in der Annahme, daß es bei Blattkletterern

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/287&oldid=- (Version vom 31.7.2018)