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Es ist so nothwendig, die bedeutungsvollen Wirkungen der Gesetze des Wachsthums zu würdigen, daß ich noch einige weitere Fälle einer anderen Art hinzufügen will, nämlich von Verschiedenheiten in einem und demselben Theil oder Organe, welche Folgen von Verschiedenheiten in der relativen Stellung an einer und derselben Pflanze sind. Bei der spanischen Kastanie und bei gewissen Kieferbäumen sind nach Schacht die Divergenzwinkel der Blätter an den nahezu horizontalen und an den aufrechten Zweigen verschieden. Bei der gemeinen Raute und einigen anderen Pflanzen öffnet sich zuerst eine Blüthe, gewöhnlich die centrale oder terminale, und hat fünf Kelch- und Kronenblätter und fünf Ovarialfächer, während alle übrigen Blüthen an der Pflanze tetramer sind. Bei der britischen Adoxa hat meist die oberste Blüthe zwei Kelchklappen und die andern Organe vierzählig, während die umgebenden Blüthen meist drei Kelchklappen und die übrigen Organe pentamer haben. Bei vielen Compositen und Umbelliferen (und bei einigen anderen Pflanzen) haben die randständigen Blüthen viel entwickeltere Corollen als die centralen Blüthen, und dies scheint häufig mit der Abortion der Reproductionsorgane in Zusammenhang zu stehen. Eine noch merkwürdigere Thatsache, welche schon früher angedeutet wurde, ist, daß die Achenen oder Samen des Randes und des Centrum bedeutend in Form, Farbe und anderen Merkmalen verschieden sind. Bei Carthamus und einigen anderen Compositen sind nur die centralen Achenen mit einem Pappus versehen, und bei Hyoseris liefert ein und derselbe Blüthenkopf drei verschiedene Formen von Achenen. Bei gewissen Umbelliferen sind nach Tausch die äußeren Samen orthosperm und die centralen coelosperm; und DeCandolle hat diesen Unterschied bei anderen Species als von der höchsten systematischen Bedeutung angesehen. Prof. Braun erwähnt eine Gattung der Fumariaceen, bei welcher die Blüthen im unteren Theile des Blüthenstandes ovale, gerippte, einsamige Nüßchen tragen, im oberen Theile der Inflorescenz dagegen lanzettförmige, zweiklappige und zweisamige Schoten. Soweit wir es beurtheilen können, kann in diesen verschiedenen Fällen, ausgenommen die stark entwickelten Randblüthen, welche dadurch von Nutzen sind, daß sie die Blüthen für die Insecten auffallend machen, natürliche Zuchtwahl nicht oder nur in einer völlig untergeordneten Weise ins Spiel gekommen sein. Alle diese Modificationen sind eine Folge der relativen Stellung und der gegenseitigen Wirkung der Theile aufeinander;

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/255&oldid=- (Version vom 31.7.2018)