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Thieren viele Gebilde existiren, welche so hoch entwickelt sind, daß Niemand daran zweifelt, daß sie von Bedeutung sind; und doch ist ihr Gebrauch noch nicht, oder erst ganz neuerdings, ermittelt worden. Da Bronn die Länge der Ohren und des Schwanzes in den verschiedenen Arten der Mäuse als Beispiele, wenn auch geringfügige, von Verschiedenheiten anführt, welche von keinem speciellen Nutzen sein können, so will ich noch erwähnen, daß nach der Angabe des Dr. Schöbl die äußeren Ohren der gemeinen Maus in einer außerordentlichen Weise mit Nerven versehen sind, so daß sie ohne Zweifel als Tastorgane dienen; es kann daher die Länge der Ohren kaum völlig bedeutungslos sein. Wir werden auch sofort sehen, daß der Schwanz in einigen Species ein sehr nützliches Greiforgan ist; sein Gebrauch würde daher bedeutend durch die Länge beeinflußt werden.

Was die Pflanzen betrifft, hinsichtlich deren ich mich wegen Nägeli’s Abhandlung auf die folgenden Bemerkungen beschränken werde, so wird man zugeben, daß die Blüthen der Orchideen eine Menge merkwürdiger Structureinrichtungen darbieten, welche vor wenig Jahren für bloße morphologische Verschiedenheiten ohne specielle Function angesehen worden wären; jetzt weiß man aber, daß sie für die Befruchtung der Arten durch Insectenhülfe von der größten Bedeutung und wahrscheinlich durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Bis vor Kurzem würde Niemand gemeint haben, daß die verschiedenen Längen der Staubfäden und Pistille und deren Anordnung bei dimorphen und trimorphen Pflanzen von irgend welchem Nutzen sein könnten; jetzt wissen wir aber, daß dies der Fall ist.

In gewissen ganzen Pflanzengruppen stehen die Eichen aufrecht, in andern sind sie aufgehängt; und in einigen wenigen Pflanzen nimmt innerhalb eines und desselben Ovarium das eine Eichen die erstere, ein zweites die letztere Stellung ein. Diese Stellungen erscheinen auf den ersten Blick rein morphologisch, oder von keiner physiologischen Bedeutung. Dr. Hooker theilt mir aber mit, daß von den Eichen in einem und demselben Ovarium in manchen Fällen nur die oberen und in andern Fällen nur die unteren befruchtet werden. Er vermuthet, daß dies wahrscheinlich von der Richtung abhängt, in welcher die Pollenschläuche in das Ovarium eintreten. Ist dies der Fall, so würde die Stellung der Eichen, selbst wenn das eine aufrecht, das andere aufgehängt ist, eine Folge der Auswahl irgend welcher unbedeutenden

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/253&oldid=- (Version vom 31.7.2018)