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Theile hin, durch gegenseitigen Druck, dadurch, daß ein früh entwickelter Theil einen später entwickelten afficirt und dergl. mehr, ebenso aber auch durch andere Ursachen, welche zu den vielen mysteriösen Fällen von Correlation hinleiten, welche wir nicht im Mindesten verstehen. Diese Wirkungen können der Kürze wegen sämmtlich unter dem Ausdrucke der Gesetze des Wachsthums vereinigt werden. Drittens müssen wir dem Antheile der directen und bestimmten Wirkung veränderter Lebensbedingungen Rechnung tragen, wie auch der sogenannten spontanen Abänderungen, bei denen die Natur der Bedingungen dem Anscheine nach eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Gute Beispiele von spontanen Abänderungen bieten Knospenvarietäten dar, wie das Auftreten einer Moosrose an einer gewöhnlichen Rose, oder eine Nectarine an einem Pfirsichbaum. Wenn wir uns aber der Wirksamkeit eines minutiösen Tropfen Giftes bei der Bildung complicirter Gallenauswüchse erinnern, so dürfen wir uns in diesen letzten Fällen nicht zu sicher fühlen, daß die obigen Abänderungen nicht die Wirkung irgend welcher localen Veränderung in der Beschaffenheit des Saftes sind, welche Folge irgend welcher Veränderungen der Lebensbedingungen sind. Für jede unbedeutende individuelle Verschiedenheit muß es ebenso gut wie für stärker ausgeprägte Abänderungen, welche gelegentlich auftreten, irgend eine bewirkende Ursache geben, und wenn die unbekannte Ursache dauernd in Wirksamkeit bleiben sollte, so ist es beinahe gewiß, daß alle Individuen der Species in ähnlicher Weise modificirt werden würden.

In den früheren Auflagen dieses Werkes unterschätzte ich, wie mir es jetzt wahrscheinlich scheint, die Häufigkeit und die Bedeutung der als Folgen spontaner Variabilität auftretenden Modificationen. Es ist aber unmöglich, dieser Ursache die unzähligen Structureinrichtungen zuzuschreiben, welche der Lebensweise jeder Species so gut angepaßt sind. Ich kann hieran nicht mehr glauben als daran, daß die so gut angepaßten Formen eines Rennpferdes oder eines Windhundes hierdurch erklärt werden können, welche dem Geiste älterer Naturforscher so viel Überraschung gewährten, ehe das Princip der Zuchtwahl durch den Menschen gehörig verstanden wurde.

Es dürfte sich wohl der Mühe verlohnen, einige der vorstehenden Bemerkungen zu erläutern. In Bezug auf die vermeintliche Nutzlosigkeit verschiedener Theile und Organe ist es kaum nothwendig, zu bemerken, daß selbst bei den höheren und am besten bekannten

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/252&oldid=- (Version vom 31.7.2018)