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welche davon ausgeht, daß, wenn Abänderungen oder individuelle Verschiedenheiten einer wohlthätigen Natur zufällig auftreten, diese erhalten werden; dies wird aber nur unter gewissen günstigen Bedingungen erreicht werden.

Der berühmte Paläontolog Bronn fragt am Schlusse seiner Übersetzung dieses Werkes, wie nach dem Principe der natürlichen Zuchtwahl eine Varietät unmittelbar neben der elterlichen Art leben könne? Wenn beide unbedeutend verschiedenen Lebensweisen und Lebensbedingungen angepaßt worden sind, so können sie zusammen leben; und wenn wir polymorphe Arten, bei denen Variabilität von einer eigenthümlichen Art zu sein scheint, und alle bloß zeitweiligen Abänderungen, wie Größe, Albinismus u. s. w. bei Seite lassen, so findet man allgemein, daß die beständigen Varietäten, so weit ich es ausfindig machen kann, bestimmte Stationen bewohnen, wie Hochland oder Tiefland, trockene oder feuchte Districte. Übrigens scheinen bei Thieren, welche viel umherwandern und sich reichlich kreuzen, ihre Varietäten allgemein auf bestimmte Regionen beschränkt zu sein.

Bronn behauptet auch, daß verschiedene Species niemals in einem einzelnen Merkmale von einander abweichen, sondern in vielen Theilen; und er fragt, woher es komme, daß immer viele Theile der Organisation zu derselben Zeit durch Abänderung und natürliche Zuchtwahl modificirt worden sein sollten? Es liegt aber keine Nöthigung vor, zu vermuthen, daß alle Theile irgend eines Wesens gleichzeitig modificirt worden seien. Die allerauffallendsten Modificationen, ausgezeichnet irgend einem Zwecke angepaßt, können, wie früher bemerkt wurde, durch nach einander auftretende Abänderungen, wenn nur gering, erst in einem Theile, dann in einem andern erlangt worden sein; und da sie alle zusammen überliefert werden, so wird es uns scheinen, als wären sie gleichzeitig entwickelt worden. Die beste Antwort auf die obige Einwendung bieten indessen diejenigen domesticirten Rassen dar, welche hauptsächlich durch das Zuchtwahlvermögen des Menschen zu irgend einem speciellen Zwecke modificirt worden sind. Man betrachte das Rennpferd und den Karrengaul, oder den Windhund und die Dogge. Ihr ganzes Körpergerüst und selbst ihre geistigen Eigenthümlichkeiten sind modificirt worden; wenn wir aber Schritt für Schritt die Geschichte ihrer Umwandlung verfolgen könnten – und die letzten Schritte können verfolgt werden –, so

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/250&oldid=- (Version vom 31.7.2018)