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und kann folglich auf Verbesserung und Kräftigung für den Kampf um’s Dasein lediglich nach dem für diese Gegend giltigen Maßstab hinwirken. Daher müssen die Bewohner einer, und zwar gewöhnlich der kleineren Gegend oft vor denen einer anderen und gemeiniglich größeren zurückweichen. Denn in der größeren Gegend werden mehr Individuen und mehr differenzirte Formen existirt haben, wird die Concurrenz stärker und mithin das Ziel der Vervollkommnung höher gesteckt gewesen sein. Natürliche Zuchtwahl wird nicht nothwendig zur absoluten Vollkommenheit führen, und diese ist auch, so viel wir mit unseren beschränkten Fähigkeiten zu beurtheilen vermögen, nirgends zu finden.

Nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl läßt sich die ganze Bedeutung des alten Glaubenssatzes in der Naturgeschichte „Natura non facit saltum“ verstehen. Dieser Satz ist, wenn wir nur die jetzigen Bewohner der Erde berücksichtigen, nicht ganz richtig, muß aber nach meiner Theorie vollkommen wahr sein, wenn wir alle, bekannten oder unbekannten, Wesen vergangener Zeiten mit einschließen.

Es ist allgemein anerkannt, daß alle organischen Wesen nach zwei großen Gesetzen gebildet worden sind: Einheit des Typus und Bedingungen der Existenz. Unter Einheit des Typus begreift man die Übereinstimmung im Grundplane des Baues, wie wir ihn bei den Gliedern einer und derselben Classe finden und welcher ganz unabhängig von ihrer Lebensweise ist. Nach meiner Theorie erklärt sich die Einheit des Typus aus der Einheit der Abstammung. Der Ausdruck Existenzbedingungen, so oft von dem berühmten Cuvier betont, ist in meinem Principe der natürlichen Zuchtwahl vollständig mit inbegriffen. Denn die natürliche Zuchtwahl wirkt nur dadurch, daß sie die veränderlichen Theile eines jeden Wesens seinen organischen und unorganischen Lebensbedingungen entweder jetzt anpaßt oder in längst vergangenen Zeiten angepaßt hat. Diese Anpassungen können in vielen Fällen durch den vermehrten Gebrauch oder Nichtgebrauch unterstützt, durch directe Einwirkung äußerer Lebensbedingungen leicht afficirt werden und sind in allen Fällen den verschiedenen Wachsthums- und Abänderungsgesetzen unterworfen. Daher ist denn auch das Gesetz der Existenzbedingungen in der That das höhere, indem es vermöge der Erblichkeit früherer Abänderungen und Anpassungen das der Einheit des Typus mit in sich begreift.

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/247&oldid=- (Version vom 31.7.2018)