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von einer Stelle zur andern abänderten. Wenn zwei Varietäten an zwei Stellen eines zusammenhängenden Gebietes sich bildeten, so wird oft auch eine mittlere Varietät für eine mittlere Zone passend entstanden sein; aber aus angegebenen Gründen wird die mittlere Varietät gewöhnlich in geringerer Anzahl als die zwei durch sie verbundenen Abänderungen vorhanden gewesen sein, welche letztere mithin im Verlaufe weiterer Umbildung sich durch ihre größere Anzahl in entschiedenem Vortheil vor der weniger zahlreichen mittleren Varietät befanden und mithin gewöhnlich auch im Stande waren, sie zu ersetzen und zu vertilgen.

Wir haben in diesem Capitel gesehen, wie vorsichtig man sein muß zu schließen, daß die verschiedenartigsten Gewohnheiten des Lebens nicht in einander übergehen können, daß eine Fledermaus z. B. nicht etwa auf dem Wege natürlicher Zuchtwahl entstanden sein könne aus einem Thiere, welches anfangs bloß durch die Luft zu gleiten im Stande war.

Wir haben gesehen, daß eine Art unter veränderten Lebensbedingungen ihre Gewohnheiten ändern oder vermannichfaltigen und manche Sitten annehmen könne, die von denen ihrer nächsten Verwandten abweichen. Daraus können wir begreifen, (wenn wir uns zugleich erinnern, daß jedes organische Wesen zu leben versucht, wo es nur immer leben kann), wie es zugegangen ist, daß es Landgänse mit Schwimmfüßen, am Boden lebende Spechte, tauchende Drosseln und Sturmvögel mit den Sitten der Alke gebe.

Obwohl die Meinung, daß ein so vollkommenes Organ, wie das Auge ist, durch natürliche Zuchtwahl hervorgebracht werden könne, mehr als genügt um jeden wankend zu machen, so ist doch keine logische Unmöglichkeit vorhanden, daß irgend ein Organ unter sich verändernden Lebensbedingungen durch eine lange Reihe von Abstufungen in seiner Zusammensetzung, deren jede dem Besitzer nützlich ist, endlich jeden begreiflichen Grad von Vollkommenheit auf dem Wege natürlicher Zuchtwahl erlange. In Fällen, wo wir keine Zwischenzustände oder Übergangsformen kennen, müssen wir uns wohl sehr hüten zu schließen, daß solche niemals bestanden hätten, denn die Metamorphosen vieler Organe zeigen, welche wunderbaren Veränderungen in ihren Verrichtungen wenigstens möglich sind. So ist z. B. eine Schwimmblase offenbar in eine luftathmende Lunge verwandelt worden. Übergänge müssen namentlich da oft in hohem Grade erleichtert

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/245&oldid=- (Version vom 31.7.2018)