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concentrirenden Apparate zu bringen, und ein Bild muß dann auf ihm entstehen.

In der großen Classe der Gliederthiere können wir von einem einfach mit Pigment überzogenen Sehnerven ausgehen, welches erstere zwar zuweilen eine Art Pupille bildet, jedoch weder eine Linse noch eine andere optische Einrichtung darbietet. Bei Insecten weiß man jetzt, daß die zahlreichen Facetten auf der Hornhaut der großen zusammengesetzten Augen wahre Linsen bilden und daß die Kegel eigenthümlich modificirte Nervenfäden einschließen. Es ist aber die Structur der Augen bei den Gliederthieren so mannichfach, daß Joh. Müller früher drei Hauptclassen von zusammengesetzten Augen mit sieben Unterabteilungen annahm, zu denen er noch eine vierte Hauptclasse fügt, die der aggregirten einfachen Augen.

Wenn wir diese, in Bezug auf die große, mannichfaltige und abgestufte Reihe der Augenbildung bei niederen Thieren hier nur allzu kurz und unvollständig angedeuteten Thatsachen erwägen und ferner bedenken, wie klein die Anzahl aller lebenden Arten im Vergleich zu den bereits erloschenen sein muß, so kann ich doch keine allzu große Schwierigkeit für die Annahme finden, daß der einfache Apparat eines von Pigment umgebenen und von durchsichtiger Haut bedeckten Sehnerven durch natürliche Zuchtwahl in ein so vollkommenes optisches Werkzeug umgewandelt worden sei, wie es bei irgend einer Form der Gliederthiere gefunden wird.

Wer nun so weit gehen will, braucht, wenn er nach dem Durchlesen dieses Buches findet, daß sich durch die Theorie der Descendenz mit Modificationen eine große Menge von anderweitig unerklärbaren Thatsachen begreifen läßt, kein Bedenken zu haben, einen Schritt weiter zu gehen und anzunehmen, daß durch natürliche Zuchtwahl auch ein so vollkommenes Gebilde, wie das Adlerauge ist, hergestellt werden könne, wenn ihm auch die Zwischenstufen in diesem Falle gänzlich unbekannt sind. Es ist eingewendet worden, daß, um das Auge zu modificiren und es doch als vollkommenes Werkzeug zu erhalten, viele Veränderungen gleichzeitig bewirkt worden sein müssen, was, wie man meint, nicht durch natürliche Zuchtwahl geschehen könne. Wie ich aber in meinem Werke über „Variiren der Thiere im Zustande der Domestication“ zu zeigen versucht habe, ist es nicht nothwendig anzunehmen, daß alle Modificationen gleichzeitig waren, wenn sie äußerst gering und allmählich waren. Verschiedene

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/219&oldid=- (Version vom 31.7.2018)