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sind, wenn ich auch nicht daran zweifle, daß der früher unterbrochene Zustand jetzt zusammenhängender Gebiete einen wesentlichen Antheil an der Bildung neuer Arten, zumal sich häufig kreuzender und wandernder Thiere, gehabt hat.

Hinsichtlich der jetzigen Verbreitung der Arten über weite Gebiete finden wir allgemein, daß sie auf einem großen Theile derselben ziemlich zahlreich vorkommen, dann aber ziemlich plötzlich gegen die Grenzen hin immer seltener werden und endlich ganz verschwinden; daher ist das neutrale Gebiet zwischen zwei stellvertretenden Arten gewöhnlich nur schmal im Vergleich zu dem einer jeden Art eigenen. Wir begegnen derselben Thatsache, wenn wir an Gebirgen emporsteigen; und zuweilen ist es sehr auffällig, wie plötzlich, nach Alphons DeCandolle’s Beobachtung, eine gemeine Art in den Alpen verschwindet. Edw. Forbes hat dieselbe Wahrnehmung gemacht, als er die Tiefen des Meeres mit dem Schleppnetze untersuchte. Diese Thatsache muß alle diejenigen in Verlegenheit setzen, welche die äußeren Lebensbedingungen, wie Clima und Höhe, als die allmächtigen Ursachen der Verbreitung der Organismenformen betrachten, indem der Wechsel vom Clima und Höhe oder Tiefe überall ein allmählicher und unfühlbarer ist. Wenn wir uns aber erinnern, daß fast jede Art, selbst im Mittelpunkte ihrer Heimath, zu unermeßlicher Zahl anwachsen würde, wenn sie nicht in Concurrenz mit anderen Arten stünde, – daß fast alle von anderen Arten leben oder ihnen zur Nahrung dienen, – kurz, daß jedes organische Wesen mittelbar oder unmittelbar auf die bedeutungsvollste Weise zu anderen Organismen in Beziehung steht, so erkennen wir, daß die Verbreitung der Bewohner irgend einer Gegend keineswegs ausschließlich von der unmerklichen Veränderung physikalischer Bedingungen, sondern zu einem großen Theile von der Anwesenheit oder Abwesenheit anderer Arten abhängt, von welchen sie leben, durch welche sie zerstört werden, oder mit welchen sie in Concurrenz stehen; und da diese Arten bereits scharf bestimmt sind und nicht mehr unmerklich in einander übergehen, so muß die Verbreitung einer Species, welche doch eben von der Verbreitung anderer abhängt, scharf umgrenzt zu werden streben. Überdies wird jede Art an den Grenzen ihres Verbreitungsbezirkes, wo ihre Anzahl geringer wird, durch Schwankungen in der Menge ihrer Feinde oder ihrer Beute oder in dem Wesen der Jahreszeiten einer gänzlichen Zerstörung im äußersten Grade ausgesetzt

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/206&oldid=- (Version vom 31.7.2018)