Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein | |
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und abgeändert werden? Was sollen wir z. B. zu einem so wunderbaren Instincte sagen, wie der ist, welcher die Bienen veranlaßt, Zellen zu bauen, durch welche die Entdeckungen tiefsinniger Mathematiker practisch anticipirt worden sind?
Viertens: Wie ist es zu begreifen, daß Species bei der Kreuzung mit einander unfruchtbar sind oder unfruchtbare Nachkommen geben, während, wenn Varietäten mit einander gekreuzt werden, deren Fruchtbarkeit ungeschwächt bleibt?
Die zwei ersten dieser Hauptfragen sollen hier, einige verschiedene Einwürfe in dem nächsten Capitel, Instinct und Bastardbildung in den beiden darauf folgenden Capiteln erörtert werden.
Da die natürliche Zuchtwahl nur durch Erhaltung nützlicher Abänderungen wirkt, so wird jede neue Form in einer schon vollständig bevölkerten Gegend streben, ihre eigene minder vervollkommnete Stammform, so wie alle anderen minder vollkommenen Formen, mit welchen sie in Concurrenz kommt, zu verdrängen und endlich zu vertilgen. Aussterben und natürliche Zuchtwahl gehen daher Hand in Hand. Wenn wir folglich jede Species als Abkömmling von irgend einer anderen unbekannten Form betrachten, so werden Urstamm und Übergangsformen gewöhnlich schon durch den Bildungs- und Vervollkommnungsproceß der neuen Form selbst zum Aussterben gebracht sein.
Da nun aber doch dieser Theorie zufolge zahllose Übergangsformen existirt haben müssen, warum finden wir sie nicht in unendlicher Menge in den Schichten der Erdrinde eingebettet? Es wird angemessener sein, diese Frage in dem Capitel von der Unvollständigkeit der geologischen Urkunden zu erörtern. Hier will ich nur anführen, daß ich die Antwort hauptsächlich darin zu finden glaube, daß jene Urkunden unvergleichbar minder vollständig sind, als man gewöhnlich annimmt. Die Erdrinde ist ein ungeheueres Museum, dessen naturgeschichtliche Sammlungen aber nur unvollständig und in einzelnen Zeitabschnitten eingebracht worden sind, die unendlich weit auseinander liegen.
Man kann nun aber einwenden, daß, wenn einige naheverwandte Arten in einerlei Gegend beisammen wohnen, wir sicher in der Gegenwart viele Zwischenformen finden müßten. Nehmen wir einen einfachen
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/204&oldid=- (Version vom 31.7.2018)