Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/130

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Umstände, welche der Bildung neuer Formen durch natürliche Zuchtwahl günstig sind.

Dies ist ein äußerst verwickelter Gegenstand. Eine große Summe von Veränderlichkeit, unter welchem Ausdruck individuelle Verschiedenheiten stets mit einverstanden werden, wird offenbar der Thätigkeit der natürlichen Zuchtwahl günstig sein. Eine große Anzahl von Individuen gleicht dadurch, daß sie mehr Aussicht auf das Hervortreten nutzbarer Abänderungen in einem gegebenen Zeitraum darbietet, einen geringeren Betrag von Veränderlichkeit in jedem einzelnen Individuum aus und ist, wie ich glaube, eine äußerst wichtige Bedingung des Erfolges. Obwohl die Natur lange Zeiträume für die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl gewährt, so gestattet sie doch keine von unendlicher Länge; denn da alle organischen Wesen eine Stelle im Haushalte der Natur einzunehmen streben, so muß eine Art, welche nicht gleichen Schrittes mit ihren Concurrenten verändert und verbessert wird, bald erlöschen. Wenn vortheilhafte Abänderungen sich nicht wenigstens auf einige Nachkommen vererben, so vermag die natürliche Zuchtwahl nichts auszurichten. Die Neigung zum Rückschlag mag die Thätigkeit der natürlichen Zuchtwahl oft gehemmt oder aufgehoben haben: da jedoch diese Neigung den Menschen nicht an der Bildung so vieler erblichen Rassen im Thier- wie im Pflanzenreiche gehindert hat, wie sollte sie die Vorgänge der natürlichen Zuchtwahl verhindert haben?

Bei planmäßiger Zuchtwahl wählt der Züchter nach einem bestimmten Zwecke, und ließe er die Individuen sich frei kreuzen, so würde sein Werk gänzlich fehlschlagen. Haben aber viele Menschen, ohne die Absicht ihre Rasse zu veredeln, ungefähr gleiche Ansichten von Vollkommenheit, und sind alle bestrebt, nur die besten und vollkommensten Thiere zu erhalten und zur Nachzucht zu verwenden, so wird, wenn auch langsam, doch sicher aus diesem unbewußten Processe der Zuchtwahl eine Verbesserung hervorgehen, trotzdem daß keine Trennung der zur Zucht ausgewählten Thiere stattfindet. So wird es auch in der Natur sein. Findet sich ein beschränktes Gebiet mit einer nicht so vollkommen ausgefüllten Stelle wie es wohl sein könnte in ihrer geselligen Zusammensetzung, so wird die natürliche Zuchtwahl bestrebt sein, alle Individuen zu erhalten, die, wenn auch in verschiedenem Grade, doch in der angemessenen Richtung so variiren, daß sie die

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/130&oldid=- (Version vom 31.7.2018)