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Abänderungen, mögen sie unbedeutende oder scharf markirte sein, sich erhalten können. Der Verfasser nimmt den Fall eines Thierpaares an, welches während seiner Lebenszeit zweihundert Nachkommen erzeugt, von denen aber aus verschiedenen zerstörenden Ursachen im Mittel nur zwei überleben und ihre Art fortpflanzen. Für die meisten höheren Thiere ist dies eine extreme Schätzung, aber durchaus nicht so für viele der niedern Organismen. Er zeigt dann, daß, wenn ein einzelnes in irgend einer Weise variirendes Individuum geboren würde und es doppelt so viel Aussicht hätte fortzuleben als die andern Individuen, die Wahrscheinlichkeit doch sehr gegen sein Fortleben sein würde. Angenommen es bliebe leben und pflanzte sich fort und die Hälfte seiner Jungen erbte die günstige Abänderung, so würde das Junge doch, wie der Verfasser weiter zeigt, nur unbedeutend mehr Aussicht haben leben zu bleiben und zu zeugen; und diese Aussicht würde in den folgenden Generationen immer weiter abnehmen. Ich glaube, man kann die Richtigkeit dieser Bemerkungen nicht bestreiten. Wenn z. B. ein Vogel irgend welcher Art sich seine Nahrung leichter durch den Besitz eines gekrümmten Schnabels verschaffen könnte und wenn einer mit einem stark gekrümmten Schnabel geboren würde und demzufolge gut gediehe, so würde doch die Wahrscheinlichkeit sehr gering sein, daß dies eine Individuum seine Form bis zum Verdrängen der gewöhnlichen fortpflanzte. Aber nach dem, was wir im Zustande der Domestication vorgehen sehen, zu urtheilen, kann darüber kaum ein Zweifel sein, daß dies Resultat eintreten würde, wenn viele Generationen hindurch eine große Zahl von Individuen mit mehr oder weniger gebogenen Schnäbeln erhalten und eine noch größere Zahl mit den gerädesten Schnäbeln zerstört würde.

Man darf indessen nicht übersehen, daß gewisse im Ganzen stark ausgeprägte Abänderungen, welche Niemand für bloße individuelle Verschiedenheiten erklären würde, häufig in Folge des Umstandes wiederkehren, daß eine ähnliche Organisation ähnliche Einflüsse erfährt. Von dieser Thatsache könnten aus unsern domesticirten Formen zahlreiche Beispiele angeführt werden. Wenn in solchen Fällen ein variirendes Individuum wirklich seinen Nachkommen nicht seinen neu erlangten Character überlieferte, so würde es, so lange die bestehenden Bedingungen dieselben blieben, ohne Zweifel eine noch stärkere Neigung überliefern, in derselben Weise zu variiren. Es läßt sich auch kaum daran zweifeln, daß die Neigung in einer und derselben Art

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1876, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinEntstehung1876.djvu/119&oldid=- (Version vom 31.7.2018)