Mehrere andere Seelenzustände scheinen anfangs aufregend zu sein, werden aber bald bis zu einem äußersten Grade niederschlagend. Wenn eine Mutter plötzlich ihr Kind verliert, so ist sie zuweilen vor Schmerz wie wahnsinnig und muß als sich in einem aufgeregten Zustande befindend betrachtet werden. Sie läuft wild umher, zerzaust sich das Haar oder die Kleider und ringt ihre Hände. Diese letztere Handlung ist vielleicht Folge des Princips des Gegensatzes und verräth ein innerliches Gefühl der Hülflosigkeit, daß nichts gethan werden kann. Die andern wilden und heftigen Bewegungen können zum Theil durch die Erleichterung erklärt werden, welche jede Anstrengung der Muskeln gewährt, und zum Theil durch den nicht in bestimmte Bahnen geleiteten Überfluß von Nervenkraft aus dem gereizten Sensorium. Aber beim plötzlichen Verluste einer geliebten Person ist einer der ersten und gewöhnlichsten Gedanken, welcher eintritt, der, daß irgend etwas mehr noch hätte geschehen können, um den Verlornen zu retten. Ein ausgezeichneter Beobachter[1] spricht bei der Beschreibung des Benehmens eines Mädchens beim plötzlichen Tode ihres Vaters: „sie gieng um das Haus herum, ihre Hände ringend wie ein geisteskrankes Geschöpf und rief aus: es war meine Schuld; ich hätte ihn niemals verlassen sollen; wenn ich nur bei ihm sitzen geblieben wäre!“ u. s. w. Wenn solche Ideen lebhaft vor der Seele stehen, dann wird durch das Princip associirter Gewohnheiten die stärkste Neigung zu energischen Handlungen irgend welcher Art eintreten.
Sobald der Leidende sich dessen vollständig bewußt wird, daß nichts mehr gethan werden kann, nimmt Verzweiflung oder tiefer Kummer die Stelle des wahnsinnigen Schmerzes ein. Der Leidende sitzt bewegungslos da oder schwankt langsam hin und her. Die Circulation wird träge. Das Athmen wird beinahe vergessen und tiefe Seufzer werden eingezogen. Alles dies wirkt auf das Gehirn zurück und es erfolgt bald Erschöpfung mit zusammengesunkenen Muskeln und stumpfen Augen. Da associirte Gewohnheit den Leidenden nicht länger mehr zum Handeln treibt, so wird er von seinen Freunden zu willkürlichen Anstrengungen veranlaßt und gedrängt, nicht dem schweigenden bewegungslosen Kummer nachzugeben. Anstrengungen reizen das Herz; dieses wirkt auf das Gehirn zurück und hilft dem Geiste seine schwere Last tragen.
- ↑ Mrs. Oliphant in ihrem Roman „Miss Majoribanks“, p. 362.
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/79&oldid=- (Version vom 31.7.2018)