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Säugethier zum ersten Mal Junge hat, es das Weinen vor Angst und Noth bei ihren Jungen kennt, oder daß viele Thiere ihre Feinde instinctiv wiedererkennen und fürchten: und an diesen beiden Thatsachen läßt sich vernünftigerweise nicht zweifeln. Es ist indessen äußerst schwierig zu beweisen, daß unsere Kinder instinctiv die Bedeutung irgend eines Ausdrucks erkennen. Ich achtete auf diesen Punkt bei meinem erstgeborenen Kinde, welches nichts durch den Verkehr mit andern Kindern gelernt haben konnte, und kam zu der Überzeugung, daß es ein Lächeln verstand und Freude empfand, ein solches zu sehen, es auch durch ein gleiches beantwortete, in einem viel zu frühen Alter, als daß es irgend etwas durch Erfahrung gelernt haben könnte. Als dies Kind ungefähr vier Monate alt war, machte ich in seiner Gegenwart verschiedene curiose Geräusche und fremdartige Grimassen, versuchte auch böse auszusehen; waren aber die Geräusche nicht zu laut, so wurden sie ebenso wie die Grimassen für gute Späße aufgenommen: ich schrieb dies zu der Zeit dem Umstande zu, daß allem diesem ein Lächeln vorausgegangen war oder daß es ein Lächeln begleitete. Als es fünf Monate alt war, schien es einen mitleidsvollen Ausdruck und Ton der Stimme zu verstehen. Als es wenige Tage, über sechs Monate alt war, that seine Wärterin so als weinte sie; und hier sah ich, wie sein Gesicht augenblicklich einen melancholischen Ausdruck annahm mit stark herabgezogenen Mundwinkeln. Nun konnte dies Kind nur selten irgend ein anderes Kind und niemals eine erwachsene Person weinen gesehen haben; auch zweifle ich, ob es in einem so frühen Alter über die Sache nachgedacht haben dürfte. Es scheint mir aber, daß ihm ein angeborenes Gefühl gesagt haben muß, das vermeintliche Weinen der Wärterin drücke Kummer aus; und dies erregte durch den Instinct der Sympathie in ihm Kummer.

Mr. Lemoine meint, daß, wenn der Mensch eine angeborene Kenntnis der Ausdrucksformen besäße, Schriftsteller und Künstler es nicht für so schwierig, wie es notorisch der Fall ist, gefunden haben würden, die characteristischen Zeichen jedes eigenthümlichen Seelenzustandes zu beschreiben und nachzubilden. Dies scheint mir indessen kein gültiges Argument zu sein. Wir können factisch sehen, wie sich der Ausdruck bei einem Menschen oder einem Thiere in einer nicht miszuverstehenden Weise ändert, und doch völlig außer Stande sein, wie ich aus Erfahrung weiß, die Natur der Veränderung zu


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/349&oldid=- (Version vom 31.7.2018)