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ganz allgemein geworden sind. Daß beim Menschen eine starke Neigung zur Nachahmung besteht, unabhängig von dem bewußten Willen, ist sicher. Dies zeigt sich in der außerordentlichsten Art und Weise bei gewissen Gehirnkrankheiten, besonders beim Beginne der entzündlichen Gehirnerweichung, und ist das „Echo-Symptom“ genannt worden. Die in dieser Art afficirten Patienten ahmen ohne jedes Verständnis jede ihnen vorgemachte absurde Geberde und jedes Wort nach, welches in ihrer Nähe, selbst in einer fremden Sprache geäußert wird.[1] Was die Thiere betrifft, so haben der Schakal und der Wolf in der Gefangenschaft das Bellen des Hundes nachahmen gelernt. Auf welche Weise das Bellen des Hundes zuerst gelernt worden ist, welches verschiedene Gemüthserregungen und Begierden auszudrücken dient und welches deshalb so merkwürdig ist, weil es erst erlangt worden ist, seitdem das Thier domesticirt worden ist, und weil es von verschiedenen Rassen in verschiedenem Grade vererbt wird, wissen wir nicht; könnten wir aber nicht vermuthen, daß die Nachahmung bei seiner Erlangung etwas zu thun gehabt hat, insofern nämlich die Hunde lange Zeit in enger Association mit einem so gesprächigen Thiere wie der Mensch eines ist, gelebt haben?

Im Verlaufe der vorstehenden Bemerkungen und durch dieses ganze Buch habe ich häufig eine bedeutende Schwierigkeit in Bezug auf die gehörige Anwendung der Ausdrücke Willen, Bewußtsein und Beabsichtigung empfunden. Handlungen, welche anfangs willkürlich sind, werden bald gewohnheitsgemäß und zuletzt erblich, und dann können sie selbst im Gegensatz zum Willen ausgeführt werden. Obschon sie häufig den Seelenzustand verrathen, so wurde doch dieses Resultat anfangs weder beabsichtigt noch erwartet. Selbst solche Ausdrücke, wie daß „gewisse Bewegungen als Mittel des Ausdrucks dienen“, können leicht irre leiten, da sie den Gedanken einschließen, daß dies ihr ursprünglicher Zweck war. Dies scheint indessen nur selten oder niemals der Fall gewesen zu sein; die Bewegungen sind entweder anfänglich von irgend einem directen Nutzen gewesen, oder sie sind die indirecte Wirkung des gereizten Zustandes des Sensorium. Ein kleines Kind kann entweder absichtlich oder instinctiv schreien, um zu zeigen, daß es Nahrung bedarf; es hat aber keinen Wunsch


  1. s. die interessanten von Dr. Bateman über „Aphasie“ mitgetheilten Thatsachen, 1870, p. 110.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/347&oldid=- (Version vom 31.7.2018)