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was Scham verdient oder worüber sie sich wirklich schämt. Die Schüchternheit scheint von der Empfindlichkeit für die Meinung Anderer, mag dieselbe eine gute oder schlechte sein, abzuhängen und besonders in Bezug auf die äußere Erscheinung. Fremde wissen nichts von unserem Betragen oder unserem Character und kümmern sich auch nicht darum, aber sie können unsre Erscheinung kritisiren und thun dies auch häufig. Daher sind schüchterne Personen ganz besonders geneigt, in der Gegenwart von Fremden schüchtern zu werden und zu erröthen. Das Bewußtsein, irgend etwas Eigenthümliches oder selbst nur Neues an der Kleidung zu haben, oder irgend ein unbedeutender tadelnswerther Punkt an seiner Person und ganz besonders im Gesicht — Punkte, welche sehr leicht die Aufmerksamkeit Fremder auf sich lenken — macht den einmal schon Schüchternen ganz unerträglich schüchtern. Auf der andern Seite sind wir in denjenigen Fällen, in welchen es sich um unser Betragen und nicht um die persönliche Erscheinung handelt, viel mehr geneigt, in der Gegenwart von Bekannten schüchtern zu werden, deren Urtheil wir in einem gewissen Grade schätzen, als in der von Fremden. Ein Arzt erzählte mir, daß ein junger Mann, ein wohlhabender Herzog, mit dem er als ärztlicher Begleiter gereist war, wie ein Mädchen erröthete, wenn er ihm sein Honorar bezahlte. Doch würde dieser junge Mann wahrscheinlich nicht erröthet oder schüchtern geworden sein, wenn er einem Kaufmanne seine Rechnung bezahlt hätte. Einige Personen sind indessen so empfindsam, daß der blosse Act des Sprechens beinahe mit Jedermann hinreichend ist, ihr Selbstbewußtsein zu erregen, und dann ist ein leichtes Erröthen das Resultat.

Misbilligung oder Lächerlichmachen verursacht wegen unserer Empfindlickkeit in diesem Punkte Schüchternheit und Erröthen viel leichter als Billigung, obgleich auch die letztere bei einigen Personen außerordentlich wirksam ist. Der Eingebildete ist selten schüchtern, denn er schätzt sich viel zu hoch, als daß er Geringschätzung erwarten könnte. Warum ein stolzer Mann häufig schüchtern ist, wie es der Fall zu sein scheint, liegt nicht so auf der Hand, wenn es nicht deshalb wäre, daß er mit all seinem Selbstvertrauen wirklich viel von der Meinung Anderer hält, obschon in einem geringschätzenden Sinne. Personen, welche äußerst scheu sind, sind selten in der Gegenwart derjenigen schüchtern, mit denen sie vollständig vertraut sind und von deren guter Meinung und Sympathie sie vollkommen


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/322&oldid=- (Version vom 31.7.2018)