gedrückt werden, so wird die Unterlippe ein wenig umgewandt und vorgestreckt und dies wird gleichfalls „Verziehen des Mundes“ genannt. Aber das hier besprochene Mundverziehen besteht in einem Vorstrecken beider Lippen in einer röhrigen Form, zuweilen in einem solchen Grade, daß sie bis zur Nasenspitze reichen, wenn die Nase kurz ist. Das Verziehen des Mundes wird gewöhnlich von Stirnrunzeln, zuweilen von Äußerung eines Lautes, wie ,buh‘ oder ,wuh‘ begleitet. Diese Ausdrucksform ist deshalb merkwürdig, als sie, so weit mir bekannt ist, beinahe die einzige ist, welche viel deutlicher während der Kindheit als während des erwachsenen Alters dargeboten wird. Indessen ist eine gewisse Neigung zum Vorstrecken der Lippen unter dem Einflusse großer Wuth bei den Erwachsenen aller Rassen vorhanden. Manche Kinder strecken den Mund vor, wenn sie schüchtern sind, und dann kann man kaum sagen, daß sie schmollen.
Nach den Erkundigungen, welche ich bei mehreren großen Familien angestellt habe, scheint das Vorstrecken des Mundes bei europäischen Kindern nicht sehr allgemein zu sein; doch kommt es auf der ganzen Erde vor und muß bei den wilden Rassen sowohl allgemein als auch scharf ausgesprochen sein, da es die Aufmerksamkeit vieler Beobachter gefesselt hat. Es ist in acht verschiedenen Bezirken in Australien bemerkt worden, und einer der Herren, die mir Aufschlüsse verschafften, bemerkt, wie bedeutend dann die Lippen der Kinder vorgestreckt werden. Zwei Beobachter haben das Mundverziehen bei Kindern der Hindus gesehen, drei bei denen der Kaffern und Fingos in Süd-Africa und bei den Hottentotten, und zwei bei den Kindern der wilden Indianer von Nord-America. Verziehen des Mundes ist auch bei den Chinesen, Abyssiniern, Malayen von Malacca, den Dyaks von Borneo und häufig bei den Neu-Seeländern beobachtet worden. Mr. Mansel Weale theilt mir mit, daß er nicht bloß bei den Kindern der Kaffern, sondern auch bei den Erwachsenen beiderlei Geschlechts gesehen habe, wie sie, wenn sie mürrisch sind, ihre Lippen bedeutend vorstrecken, und Mr. Stack hat dasselbe in Neu-Seeland zuweilen bei den Männern und sehr häufig bei den Frauen beobachtet. Eine Spur derselben Ausdrucksform läßt sich gelegentlich selbst bei erwachsenen Europäern entdecken.
Wir sehen hieraus, daß das Vorstrecken der Lippen besonders bei kleinen Kindern über den größten Theil der Erde für das mürrische Schmollen characteristisch ist. Diese Bewegung ist dem Anscheine
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/224&oldid=- (Version vom 31.7.2018)