Seite:DarwinAusdruck.djvu/150

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ein einzelner Versuch des Zurückhaltens, auf die Thränendrüsen hingeleitet, scheint wenig zu thun und geradezu zu einem entgegengesetzten Resultate zu führen. Ein alter und erfahrener Arzt hat mir erzählt, daß er immer gefunden habe, wie das einzige Mittel, das gelegentlich bittere Weinen von Damen aufzuhalten, welche ihn um Rath frugen und selbst wünschten, aufhören zu können, gewesen sei, sie zu bitten, dies nicht zu versuchen, und ihnen zu versichern, daß sie nichts mehr trösten würde, als lang anhaltendes reichliches Weinen.

Das Schreien kleiner Kinder besteht in lang anhaltendem Ausathmen mit kurzen rapiden, beinahe krampfhaften Inspirationen, dem in etwas vorgeschrittenerem Alter Schluchzen folgt. Der Angabe Gratiolet's zufolge[1] ist während des Actes des Schluchzens hauptsächlich die Stimmritze afficirt. Es wird dieser Laut gehört „im Augenblicke, wenn die Inspiration den Widerstand der Stimmritze überwindet und die Luft in dieselbe hineinfährt“. Es ist aber auch der ganze Act der Athmung krampfhaft und heftig. Die Schultern werden zu derselben Zeit meist gehoben, da durch diese Bewegung das Athemholen erleichtert wird. Bei einem meiner Kinder waren, als es siebenundsiebzig Tage alt war, die Inspirationen so schnell und heftig, daß sie sich dem Character des Schluchzens näherten. Als es 138 Tage alt war, bemerkte ich zuerst entschiedenes Schluchzen, welches später jedem schlimmen Weinanfalle folgte. Die Athembewegungen sind zum Theil willkürlich, zum Theil unwillkürlich, und ich vermuthe, daß das Schluchzen wenigstens zum Theil davon herrührt, daß die Kinder nach der frühesten Kindheit eine gewisse Fähigkeit haben, ihre Stimmorgane zu beherrschen und ihr Schreien zu unterdrücken. Da sie aber über ihre Respirationsmuskeln weniger Gewalt haben, so fahren diese eine Zeit lang fort, sich in einer willkürlichen und krampfhaften Art und Weise noch zusammenzuziehen, nachdem sie einmal in heftige Thätigkeit versetzt worden waren. Das Schluchzen scheint dem Menschen eigenthümlich zu sein, denn die Wärter im zoologischen Garten versichern mir, daß sie niemals bei irgend einer Art von Affen ein Schluchzen gehört haben, obschon Affen häufig laut schreien, während sie gejagt und gefangen werden und dann eine Zeit lang keuchen. Wir sehen hieraus, daß zwischen


  1. De la Physiognomie. 1865, p. 126.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/150&oldid=- (Version vom 31.7.2018)