Seite:DarwinAusdruck.djvu/147

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

blieb das andere Auge trocken oder wurde nur leicht mit Thränen unterlaufen. Ein ähnlicher unbedeutender Erguß trat zehn Tage früher in beiden Augen während eines Schreianfalles ein. Die Thränen liefen nicht über die Augenlider und die Backen bei diesem Kinde herab, als es im Alter von 122 Tagen heftig schrie. Dies trat zuerst 17 Tage später ein im Alter von 139 Tagen. Einige wenige andere Kinder sind für mich beobachtet worden; es stellte sich heraus, daß die Periode, wo reichliches Weinen eintritt, sehr variabel zu sein scheint. In einem Falle wurden die Augen leicht wässerig im Alter von nur 20 Tagen, in einem anderen in dem von 62 Tagen. Bei zwei anderen Kindern, im Alter von 84 und 110 Tagen, liefen die Thränen nicht über das Gesicht herab, aber bei einem dritten Kinde liefen sie schon im Alter von 104 Tagen über die Wangen. Wie mir positiv versichert wurde, liefen in einem Falle Thränen in dem ungewöhnlich frühen Alter von 42 Tagen über das Gesicht. Es möchte scheinen, als ob die Thränendrüsen in den Individuen etwas Übung erforderten, ehe sie leicht zur Thätigkeit erregt werden können, in ziemlich derselben Art und Weise, wie verschiedene angeerbte consensuelle Bewegungen und Geschmacksformen eine gewisse Übung erfordern, ehe sie fixirt und vollkommen werden. Dies ist um so wahrscheinlicher bei einer Gewohnheit wie der des Weinens, welche seit der Zeit erlangt worden sein muß, wo der Mensch von dem gemeinsamen Urerzeuger der Gattung Homo und der nicht weinenden anthropomorphen Affen abgezweigt wurde.

Die Thatsache, daß Thränen in einem sehr frühen Alter aus Schmerz oder irgend einer geistigen Erregung nicht vergossen werden, ist merkwürdig, da im späteren Leben keine Ausdrucksform allgemeiner oder schärfer ausgeprägt ist als das Weinen. Ist die Gewohnheit einmal von einem Kinde erlangt worden, so drückt es in der deutlichsten Art und Weise Leiden aller Arten, sowohl körperlichen Schmerz als geistiges Unglück, selbst wenn es von anderen Erregungen wie Furcht oder Wuth begleitet wird, durch Weinen aus. Indessen ist der Character des Weinens in einem sehr frühen Alter verschieden, wie ich bei meinen eigenen Kindern beobachtet habe: — leidenschaftliches Schreien ist verschieden von dem Weinen vor Kummer. Eine Dame theilt mir mit, daß ihr neun Monate altes Kind laut aufschreit, aber nicht weint, wenn es in Leidenschaft geräth. Es vergießt aber Thränen, wenn es dadurch bestraft wird, daß man


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/147&oldid=- (Version vom 31.7.2018)