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hellen blendenden Tage auf einen entfernten Gegenstand hinzusehen wünscht, aber gezwungen ist, theilweise die Augenlider zu schließen, so wird beinahe immer zu beobachten sein, daß die Oberlippe etwas erhoben wird. Der Mund mancher sehr kurzsichtigen Personen, welche beständig gezwungen sind, die Öffnung ihrer Augen etwas zu verkleinern, erhält aus dieser selben Ursache einen grinsenden Ausdruck.

Das Erheben der Oberlippe zieht das Fleisch auf den oberen Theilen der Wangen in die Höhe und bewirkt hierdurch eine stark markirte Falte auf jeder Wange — die Nasenlippenfalte — welche von der Nähe der Nasenflügel zu den Mundwinkeln und noch unter dieselben hinabläuft. Diese Falte oder Furche ist in allen den Photographien von weinenden Kindern zu sehen und ist für den Ausdruck eines solchen sehr characteristisch, obschon eine nahezu ähnliche Falte im Acte des Lachens oder Lächelns gebildet wird.[1]

Da die Oberlippe während des Actes des Schreiens in der eben erklärten Weise sehr in die Höhe gezogen wird, so werden die die


  1. Obgleich Dr. Duchenne die Zusammenziehung der verschiedenen Muskeln während des Actes des Weinens und die dadurch hervorgebrachten Furchen im Gesicht so sorgfältig studirt hat, so scheint doch in seiner Schilderung noch Etwas unvollständig zu sein; was dies aber ist, kann ich nicht sagen. Er hat eine Abbildung gegeben (Album, Fig. 48), in welcher die eine Hälfte des Gesichts durch Galvanisirung der gehörigen Muskeln lächelnd gemacht worden ist, während in der anderen Hälfte auf ähnliche Weise der Beginn des Weinens dargestellt ist. Beinahe alle diejenigen (nämlich neunzehn unter einundzwanzig Personen), denen ich die lächelnde Hälfte des Gesichts zeigte, erkannten augenblicklich den Ausdruck; aber mit Bezug auf die andere Hälfte erkannten nur sechs unter einundzwanzig Personen deren Ausdruck, d.h. wenn ich solche Ausdrücke, wie „Kummer“, „Elend“, „Ärgerlichkeit“ für correct nehme, während fünfzehn Personen sich äußerst komisch irrten. Einige sagten, das Gesicht drücke „Witz“, „Befriedigung“, „Schlauheit“, „Abscheu“ u. s. w. aus. Wir können hieraus schließen, daß irgend Etwas in dem Ausdruck unrichtig ist. Einige von diesen fünfzehn Personen dürften indessen zum Theil dadurch irregeführt worden sein, daß sie nicht erwarteten, einen alten Mann weinen zu sehen, und daß keine Thränen abgesondert wurden. Was eine andere Figur des Dr. Duchenne (Fig. 49) betrifft, in welcher die Muskeln der einen Gesichtshälfte der Art galvanisirt wurden, daß der Beginn des Weinens dargestellt wird, während gleichzeitig die Augenbrauen derselben Seite schräg gestellt sind, was für „Elend“ characteristisch ist, so wurde der Ausdruck von einer verhältnismäßig größeren Zahl von Personen erkannt. Unter dreiundzwanzig Personen antworteten vierzehn ganz richtig: „Kummer“, „Unglück“, „Trauer“, „gerade vor dem Ausbruch des Weinens“, „Erdulden von Schmerzen“ u. s. w. Andererseits konnten neun Personen entweder gar keine Ansicht sich bilden oder waren vollständig im Irrthum und antworteten: „schlauer Blick“, „Vergnügen“, „Sehen in intensives Licht“. „Sehen auf einen entfernten Gegenstand“ u. s. w.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1877, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAusdruck.djvu/144&oldid=- (Version vom 31.7.2018)