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mit der der Arterien und Nerven ist, welche zuletzt zu einer Atrophie der endständigen Knochen führt. Für jetzt kann aber die häufig vorkommende grosse Verschiedenheit in der Länge des Schwanzes nicht erklärt werden. Es handelt sich indessen hier specieller um das völlige äusserliche Verschwinden des Schwanzes. Prof. Broca hat vor Kurzem gezeigt,[1] dass der Schwanz bei allen Säugethieren aus zwei, meist plötzlich von einander abgesetzten Theilen besteht; der basale Theil besteht aus mehr oder weniger vollkommen mit Canälen versehenen und Fortsätze gleich gewöhnlichen Wirbeln besitzenden Wirbeln, während die des terminalen Theils keine Canäle haben, beinahe glatt und echten Wirbeln kaum ähnlich sind. Ein, wenn auch nicht äusserlich sichtbarer Schwanz ist beim Menschen und den anthropomorphen Affen wirklich vorhanden und ist bei beiden nach demselben Typus gebaut. Im terminalen Theil sind die das Os coccygis bildenden Wirbel völlig rudimentär, an Grösse und Zahl verkümmert. In dem basalen Theil finden sich auch nur wenig Wirbel, sie sind fest mit einander verbunden und in ihrer Entwickelung gehemmt; sie sind aber viel breiter und platter geworden als die entsprechenden Wirbel im Schwanze anderer Thiere; sie bilden das, was Broca die accessorischen Kreuzbeinwirbel nennt. Diese sind von functioneller Bedeutung, sie haben gewisse innere Theile zu stützen und so fort; ihre Modification steht in directem Zusammenhange mit der aufrechten oder halbaufrechten Stellung des Menschen und der anthropomorphen Affen. Diese Folgerung ist um so vertrauenswürdiger, als Broca früher einer andern Ansicht war, die er jetzt aufgegeben hat. Die Modification der basalen Schwanzwirbel beim Menschen und bei den höheren Affen dürfte daher direct oder indirect durch natürliche Zuchtwahl bewirkt worden sein.

Was sollen wir aber von den rudimentären und variabeln Wirbeln des terminalen Theils des Schwanzes sagen, welche das Os coccygis bilden? Eine Idee, welche schon oft lächerlich gemacht worden ist und es ohne Zweifel wieder werden wird, dass nämlich Reibung mit dem Verschwinden des äusseren Theils des Schwanzes etwas zu thun gehabt hat, ist doch nicht so lächerlich, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Dr. Anderson gibt an,[2] dass der ausserordentlich kurze Schwanz des Macacus brunneus von elf Wirbeln, mit Einschluss der


  1. Revue d'Anthropologie. 1872. „La constitution des Vertèbres caudales“.
  2. Proceed. Zoolog. Soc. 1872. p. 210.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/89&oldid=- (Version vom 31.7.2018)