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für den Menschen ein Vortheil sei, von Haaren entblösst zu sein, da er dadurch in den Stand gesetzt wird, sich von der Menge Zecken (Acari) und andren Parasiten zu befreien, von denen er oft heimgesucht wird und welche häufig Verschwärungen veranlassen. Ob aber dieser Nachtheil hinreichend gross ist, um zum Nacktwerden des Körpers durch natürliche Zuchtwahl zu führen, dürfte bezweifelt werden, da keines der vielen die Tropen bewohnenden Säugethiere, so viel mir bekannt ist, irgend ein specielles Erleichterungsmittel erlangt hat. Die Ansicht, welche mir die wahrscheinlichste zu sein scheint, ist die, dass der Mensch oder vielmehr ursprünglich die Frau, wie ich in den Capiteln über geschlechtliche Zuchtwahl noch weiter zeigen werde, ihr Haarkleid zu ornamentalen Zwecken verlor; und nach dieser Annahme ist es durchaus nicht überraschend, dass der Mensch in Bezug auf das Behaartsein von allen übrigen Primaten so beträchtlich abweicht. Denn durch die geschlechtliche Zuchtwahl erlangte Charactere weichen oft bei nahe mit einander verwandten Formen in einem ausserordentlichen Grade von einander ab.

Nach einer populären Ansicht ist die Abwesenheit des Schwanzes ein vorwiegend unterscheidendes Merkmal des Menschen; da aber diejenigen Affen, welche dem Menschen am nächsten stehen, gleichfalls dies Organ nicht besitzen, so betrifft dessen Verschwinden nicht den Menschen allein. Seine Länge ist zuweilen bei Species einer und derselben Gattung merkwürdig verschieden; so ist er bei einigen Arten von Macacus länger als der ganze Körper und besteht aus vierundzwanzig Wirbeln; bei anderen existirt er nur als ein kaum sichtbarer Stumpf und enthält nur drei oder vier Wirbel. Bei einigen Arten von Pavianen sind fünfundzwanzig Schwanzwirbel vorhanden, während beim Mandrill nur zehn sehr kleine abgestutzte Wirbel und nach Cuvier's Angabe[1] zuweilen nur fünf solche vorhanden sind. Der Schwanz läuft beinahe immer nach dem Ende hin spitz zu, mag er nun kurz oder lang sein, und ich vermuthe, dass dies ein Resultat der durch Nichtgebrauch eintretenden Atrophie der terminalen Muskeln in Verbindung

    Life, Vol. I. 1870. p. 440, citiren: „Man sagt, es bestehe bei den Australiern der Gebrauch, wenn das Ungeziefer lästig wird, die Haut zu sengen“.

  1. St. George Mivart in Proceed. Zoolog. Soc. 1865, p. 562, 583. J. E. Gray, Catalogue Brit. Mus. „Skeletons“. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. II. p. 517. Isid. Geoffroy Saint-Hilaire, Hist. natur. gener. Tom. II p. 244.

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/88&oldid=- (Version vom 31.7.2018)