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gehören, zu dem merkwürdigen Schlusse gelangt, dass in den neueren Formen das Gehirn allgemein grösser und die Windungen complicirter sind. Auf der andern Seite habe ich gezeigt, [1] dass die Gehirne domesticirter Kaninchen an Grösse beträchtlich reducirt sind, verglichen mit denen des wilden Kaninchens oder des Hasen; und dies mag dem Umstand zugeschrieben werden, dass sie viele Generationen hindurch in enger Gefangenschaft gehalten wurden, so dass sie ihren Intellect, ihren Instinct, ihre Sinne und ihre willkührlichen Bewegungen nur wenig ausgeübt haben.

Die allmähliche Gewichtszunahme des Gehirns und Schädels beim Menschen muss die Entwickelung der jene tragenden Wirbelsäule, und ganz besonders zu der Zeit beeinflusst haben, als er anfieng, aufrecht zu gehen. Und in dem Maasse, als diese Veränderung der Lage allmählich zu Stande kam, wird auch der innere Druck des Gehirns einen Einfluss auf die Form des Schädels geäussert haben; denn viele Thatsachen weisen nach, wie leicht der Schädel auf diese Weise afficirt wird. Ethnologen glauben, dass er durch die Form der Wiege modificirt wird, in welcher die kleinen Kinder schlafen. Habituelle Contractionen von Muskeln und eine Narbe nach einer schweren Verbrennung haben die Gesichtsknochen dauernd modificirt. Bei jungen Individuen, deren Köpfe in Folge einer Krankheit entweder nach der Seite oder nach rückwärts fixirt wurden, hat das eine Auge seine Stellung verändert und ist die Form des Schädels modificirt worden, und dies ist, wie es scheint, das Resultat davon, dass das Gehirn nun in einer andern Richtung drückte.[2] Ich habe gezeigt, dass bei langohrigen Kaninchen selbst eine so unbedeutende Ursache wie das Vorwärtshängen des einen Ohrs auf dieser Seite fast jeden einzelnen Knochen des Schädels nach vorn zieht, so dass die Knochen der beiden sich gegenüberliegenden Seiten sich nicht länger mehr genau entsprechen. Sollte endlich irgend ein Thier an allgemeiner Körpergrösse beträchtlich zu- oder abnehmen, ohne dass


  1. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 1, S. 137.
  2. Schaaffhausen führt die Fälle von krampfhafter Contraction und der Narbe nach Blumenbach und Busch an (Anthropolog. Review. Oct. 1868, p. 420). Dr. Jarrold (Anthropologia, 1808, p. 115, 116) führt nach Camper’s und seinen eigenen Beobachtungen Fälle von Modification des Schädels an in Folge einer Fixirung des Kopfes in einer unnatürlichen Stellung. Er glaubt, dass gewisse Handwerke, wie das der Schuhmacher, die Stirn runder und vorspringender machen, weil sie den Kopf beständig vorgebeugt halten lassen.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/85&oldid=- (Version vom 31.7.2018)