Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/81

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zweifeln lässt, dann kann ich keinen Grund sehen, warum es für die Urerzeuger des Menschen nicht hätte vortheilhaft gewesen sein sollen, immer mehr und mehr aufrecht oder zweifüssig zu werden. Sie würden dadurch besser im Stande gewesen sein, sich mit Steinen und Keulen zu vertheidigen oder ihre Beute anzugreifen oder auf andere Weise Nahrung zu erlangen. Die am besten gebauten Individuen werden in der Länge der Zeit am besten Erfolg gehabt haben und in grösserer Zahl am Leben geblieben sein. Wenn der Gorilla und einige wenige verwandte Formen ausgestorben wären, würde man mit grosser Ueberzeugungskraft und scheinbar mit sehr viel Recht zu dem Schlusse getrieben werden, dass ein Thier nicht allmählich aus einem Vierfüsser in einen Zweifüsser umgewandelt worden sein könnte, da alle Individuen in einem Zwischenzustand erbärmlich schlecht zum Gehen angelegt gewesen wären. Aber wir wissen (und dies ist wohl der Ueberlegung werth), dass mehrere Affen jetzt factisch sich in diesem Zwischenzustand befinden, und Niemand zweifelt, dass sie einen im Ganzen ihren Lebensbedingungen gut angepassten Bau haben. So läuft der Gorilla mit einem seitlich watschelnden Gang, schreitet aber gewöhnlich so fort, dass er sich auf seine gebeugten Hände stützt. Die langarmigen Affen gebrauchen gelegentlich ihre Arme wie Krücken, indem sie ihren Körper zwischen denselben nach vorwärts schwingen, und einige Arten von Hylobates können, ohne dass es ihnen gelehrt worden wäre, mit ziemlicher Schnelligkeit aufrecht gehen oder laufen. Doch bewegen sie sich ungeschickt und viel weniger sicher als der Mensch. Kurz, wir sehen bei den jetzt lebenden Affen verschiedene Abstufungen zwischen einer Form der Bewegung, welche streng der eines Vierfüssers gleicht, und der eines Zweifüssers oder des Menschen; doch nähern sich, wie ein unparteiischer Beurtheiler betont,[1] die anthropomorphen Affen in ihrem Bau mehr dem zweifüssigen als dem vierfüssigen Typus.

In dem Maasse, als die Urerzeuger des Menschen mehr und mehr aufrecht wurden, ihre Hände und Arme mehr und mehr zum Greifen und zu andern Zwecken, und ihre Beine und Füsse gleichzeitig zur sichern Stütze und zur Ortsbewegung modificirt wurden, werden auch endlose andere Veränderungen im Bau nothwendig geworden sein. Das Becken muss breiter, das Rückgrat eigenthümlich gebogen und der


  1. Prof. Broca, La Constitution des Vertèbres caudales, in: La Revue d'Anthropologie, 1872. p. 26 (Separatabdruck).
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/81&oldid=- (Version vom 31.7.2018)