Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/61

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Wachsthum so weit fortzuschreiten, dass er schliesslich seine besondere Function verrichten kann, wenn er nicht diese Fähigkeit des Fortwachsens während eines früheren Zustandes seiner Existenz, wo der ausnahmsweise oder gehemmte Bildungszustand normal war, erlangt hätte. Das einfache Gehirn eines mikrocephalen Idioten kann, insoweit es dem eines Affen gleicht, in diesem Sinne wohl als ein Fall von Rückschlag bezeichnet werden.[1] Es gibt aber andere Fälle, welche noch strenger


  1. In meinem „Variiren der Thiere u. Pflanzen im Zustande der Domestication“. 2. Aufl. Bd. 2, S. 65 schrieb ich den nicht seltnen Fall von überzähligen Brustdrüsen bei Frauen dem Rückschlage zu. Ich war hierzu, als zu einem wahrscheinlichen Schlusse, dadurch geführt, dass die überzähligen Drüsen meist symmetrisch auf der Brust stehen, und besonders noch dadurch, dass in einem Falle, bei der Tochter einer Frau mit überzähligen Brustdrüsen, eine einzelne fungirende Milchdrüse in der Weichengegend vorhanden war. Ich bemerke aber jetzt (s. z. B. Preyer, Der Kampf um’s Dasein, 1869, p. 45), dass mammae erraticae auch an andern Stellen vorkommen, so am Rücken, in der Achselhöhle und am Schenkel; die Drüsen gaben im letztern Falle so viel Milch, dass das Kind damit ernährt wurde. Die Wahrscheinlichkeit, dass die überzähligen Milchdrüsen in Folge von Rückschlag erschienen, wird hierdurch bedeutend vermindert; nichtsdestoweniger erscheint mir dies noch immer wahrscheinlich, weil häufig zwei Paar symmetrisch auf der Brust gefunden werden: von mehreren Fällen dieser Art ist mir selbst Mittheilung geworden. Es ist bekannt, dass mehrere Lemure normal zwei Paar Milchdrüsen an der Brust haben. Es sind fünf Fälle vom Vorhandensein von mehr als einem Paare Brustdrüsen (natürlich rudimentären) beim männlichen Geschlecht (Mensch) mitgetheilt worden; s. Journal of Anat. and Physiology, 1872, p. 56, in Bezug auf einen von Dr. Handyside angeführten Fall von zwei Brüdern, welche diese Eigenthümlichkeit darboten; s. auch einen Aufsatz von Dr. Bartels in Reichert u. Dubois-Reymond’s Archiv, 1872, p. 304. In einem der von Dr. Bartels erwähnten Fälle besass ein Mann fünf Milchdrüsen, eine davon in der Mittellinie oberhalb des Nabels; Meckel von Hemsbach glaubt, dass dies durch das Vorkommen einer medianen Mamma bei gewissen Fledermäusen illustrirt wird. Im Ganzen dürfen wir wohl bezweifeln, ob sich in beiden Geschlechtern beim Menschen jemals überzählige Brustdrüsen überhaupt hätten entwickeln können, wenn nicht seine frühern Urerzeuger mit mehr als einem einzigen Paare versehen gewesen wären.
    In dem oben angeführten Werke (Bd. 2. S. 14) schrieb ich auch, wennschon mit grosser Zögerung, die häufigen Fälle von Polydactylismus beim Menschen dem Rückschlag zu. Zum Theil wurde ich durch die Angabe Prof. Owen’s, dass einige Ichthyopterygier mehr als fünf Finger haben und daher, wie ich annahm, einen ursprünglichen Zustand beibehalten haben, zu dieser Erklärung veranlasst; Prof. Gegenbaur bestreitet indess Owen’s Folgerungen (Jenaische Zeitschrift Bd. 5, Hft. 3, S. 341). Es scheint aber andrerseits nach der vor Kurzem von Dr. Günther über die Flosse des Ceratodus vorgetragenen Ansicht (welche Flosse zu beiden Seiten einer centralen Reihe von Knochenstücken mit gegliederten knöchernen Strahlen versehen ist) nicht besonders schwierig, anzunehmen, dass sechs oder mehr Finger an der einen Seite, oder die doppelte Zahl an beiden Seiten, durch Rückschlag
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/61&oldid=- (Version vom 31.7.2018)