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Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, dass Uhrmacher und Kupferstecher sehr leicht kurzsichtig werden, während Leute, die viel im Freien leben, und besonders Wilde meist weitsichtig sind.[1] Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit neigen sicher zur Vererbung.[2] Die Inferiorität der Europäer in Bezug auf das Gesicht und die anderen Sinne im Vergleich mit Wilden ist ohne Zweifel die gehäufte und vererbte Wirkung eines viele Generationen hindurch verminderten Gebrauchs; denn Rengger führt an,[3] dass er wiederholt Europäer beobachtet hat, welche unter wilden Indianern aufgezogen waren und ihr ganzes Leben dort verbracht hatten, und welche nichtsdestoweniger es ihnen an Schärfe ihrer Sinne nicht gleichthun konnten. Derselbe Naturforscher macht die Bemerkung, dass die zur Aufnahme der verschiedenen Sinnesorgane am Schädel vorhandenen Höhlen bei den amerikanischen Ureinwohnern grösser sind als bei Europäern; und dies weist ohne Zweifel auf eine entsprechende Verschiedenheit in den Dimensionen der Organe selbst hin. Auch Blumenbach hat über die bedeutende Grösse der Nasenhöhlen in den Schädeln amerikanischer Eingeborener Bemerkungen gemacht und bringt diese Thatsache mit ihrem merkwürdig scharfen Geruchsinn in Beziehung. Die Mongolen der weiten Ebenen von Nordasien haben Pallas zufolge wunderbar vollkommene Sinne; und Prichard glaubt, dass die grosse Breite ihrer Schädel, von einem Backenknochen zum andern, Folge ihrer höchst entwickelten Sinnesorgane sei.[4]

Die Quechua-Indianer bewohnen die Hochplateaux von Peru; und


  1. Es ist eine eigenthümliche und unerwartete Thatsache, dass Seeleute den Festländern in Bezug auf die mittlere Grösse der deutlichen Sehweite nachstehen, Dr. B. A. Gould hat nachgewiesen, dass dies der Fall ist (Sanitary Memoire of the War of the Rebellion, 1869, p. 530); er erklärt es dadurch, dass bei Seeleuten die gewöhnliche Entfernung des Sehens „auf die Länge des Schiffes und die Höhe der Masten beschränkt ist“.
  2. Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 9.
  3. Säugethiere von Paraguay, S. 8, 10. Ich habe reichlich Gelegenheit gehabt, das ausserordentliche Sehvermögen der Feuerländer zu beobachten, s. auch Lawrence (Lectures on Physiology etc. 1822, p. 404) über denselben Gegenstand. Mr. Giraud-Teulon hat neuerdings (Revue des Cours scientifiques, 1870, p. 625) eine grosse und werthvolle Zahl von Beweisen gesammelt, welche zeigen, dass die Ursache der Kurzsichtigkeit „c'est le travail assidu, de près“.
  4. Prichard, Physic. Hist. of Mankind (nach der Autorität von Blumenbach). Vol. I. 1851, p. 311; die Angabe von Pallas ebenda. Vol. IV. 1844, p. 407.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/57&oldid=- (Version vom 31.7.2018)