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und können von den Weibchen, während sie in der Dämmerung herumfliegen, leichter gesehen werden.

Nach den verschiedenen im Vorstehenden erwähnten Thatsachen ist es unmöglich anzunehmen, dass die brillanten Farben von Tagschmetterlingen und einigen wenigen Nachtfaltern im Allgemeinen zum Zwecke des Schutzes erlangt worden seien. Wir haben gesehen, dass ihre Färbungen und eleganten Zeichnungen so, als wenn es auf eine Entfaltung derselben abgesehen sei, angeordnet sind und dem Anblicke dargeboten werden. Ich werde daher zu der Vermuthung geleitet, dass die Weibchen im Allgemeinen die brillanter gefärbten Männchen vorziehen oder von diesen am meisten angeregt werden; denn nach jeder andern Annahme würden die Männchen, so weit wir sehen können, zu gar keinem Zwecke geschmückt sein. Wir wissen, dass Ameisen und gewisse lamellicorne Käfer eines Gefühls der Zuneigung für einander fähig sind und dass Ameisen ihre Genossen nach einem Verlaufe von mehreren Monaten wiedererkennen. Es liegt daher keine abstracte Unwahrscheinlichkeit vor, dass die Lepidoptern, welche in der Stufenleiter wahrscheinlich nahezu oder vollständig so hoch stehen wie jene Insecten, hinreichende geistige Fähigkeiten haben sollten, helle Färbungen zu bewundern. Sie finden sicher Blüthen durch deren Färbungen. Der Taubenschwanz (Macroglossa stellatarum) stürzt sich, wie oft beobachtet werden kann, aus einer ziemlichen Entfernung auf eine Gruppe Blüthen in der Mitte von grünem Laube, und zwei Personen haben mir versichert, dass dieser Schwärmer wiederholt an den Wänden eines Zimmers auf gemalte Blumen hinflog und vergebens versuchte, seinen Rüssel in dieselben einzuführen. Fritz Müller theilt mir mit, dass mehrere Arten von Schmetterlingen in Südbrasilien eine unverkennbare Vorliebe für gewisse Farben vor andern zeigen: er beobachtete, dass sie die brillanten rothen Blüthen von fünf oder sechs Gattungen von Pflanzen sehr häufig aufsuchten, aber niemals die weiss oder gelb blühenden Arten derselben oder anderer Gattungen, die in dem nämlichen Garten wuchsen; auch habe ich noch andere Berichte in demselben Sinne erhalten. Der gemeine weisse Schmetterling fliegt oft, wie ich von Mr. Doubleday höre, auf ein Stück Papier auf der Erde hinunter, indem er dasselbe ohne Zweifel für ein Insect seiner Art hält. Mr. Collingwood[1] erzählt von der Schwierigkeit, gewisse


  1. Rambles of a Naturalist in the Chinese Seas. 1868, p. 182.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/428&oldid=- (Version vom 31.7.2018)