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während die Weibchen durch ihren Stachel wohl vertheidigt sind. H. Müller,[1] welcher der Lebensweise der Bienen besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat, schreibt diese Verschiedenheit der Färbung hauptsächlich geschlechtlicher Zuchtwahl zu. Dass Bienen ein scharfes Beobachtungsvermögen für Farben haben, ist sicher. Er sagt, dass die Männchen eifrig die Weibchen suchen und um ihren Besitz kämpfen; er erklärt es aus derartigen Kämpfen, dass bei gewissen Arten die Mandibeln der Männchen grösser sind als die der Weibchen. In manchen Fällen sind die Männchen viel zahlreicher als die Weibchen, entweder zeitig im Jahre oder zu allen Zeiten und an allen Orten, wogegen in andern Fällen allem Anscheine nach die Weibchen überwiegen. In manchen Arten scheinen die schöneren Männchen von den Weibchen erwählt worden zu sein, und in andern die schöneren Weibchen von den Männchen. In Folge dessen weichen in gewissen Gattungen (Müller, p. 42) die Männchen mehrerer Arten in ihrer Erscheinung bedeutend ab, während die Weibchen beinahe nicht zu unterscheiden sind; bei andern Gattungen tritt das Umgekehrte ein. H. Müller glaubt (p. 82), dass die von einem Geschlecht durch sexuelle Zuchtwahl erhaltenen Farben häufig in einem variablen Grade auf das andre Geschlecht übertragen worden sind, gerade so wie der pollensammelnde Apparat des Weibchens oft auf das Männchen übertragen worden ist, für welches er absolut nutzlos ist.[2]


  1. Anwendung der Darwin'schen Lehre auf Bienen, a. a. O.
  2. Offenbar ohne viel über den Gegenstand nachgedacht zu haben, wirft Mr. Perrier in seinem Artikel „la Sélection sexuelle d'après Darwin“ (Revue scientifique, Febr, 1873, p. 868) hier ein, dass die Männchen socialer Bienen, welche sich bekanntermaassen aus nicht befruchteten Eiern entwickeln, neue Charactere nicht ihren männlichen Nachkommen überliefern können. Dies ist ein ausserordentlich seltsamer Einwurf. Eine weibliche Biene, welche von einem Männchen befruchtet wurde, das gewisse die Vereinigung der Geschlechter erleichternde oder dasselbe für das Weibchen anziehender machende Charactere darbot, wird Eier legen, aus denen sich nur Weibchen entwickeln; aber diese jungen Weibchen werden nächstes Jahr Männchen hervorbringen; und wird man behaupten mögen, dass solche Männchen Charactere ihrer Grossväter väterlicher Seite nicht erben werden? Um einen so nahe parallelen Fall als möglich von andern Thieren anzuführen: wenn das Weibchen irgend eines weissen Säugethiers oder Vogels mit dem Männchen einer schwarzen Rasse gekreuzt würde und die männlichen und weiblichen Nachkommen würden mit einander gepaart, wird man behaupten wollen, dass die Enkel nicht eine Neigung zur schwarzen Farbe von ihrem Grossvater väterlicher Seite erben? Das Erlangen neuer Charactere von sterilen Arbeiterbienen ist ein viel schwierigerer Fall; ich habe aber in meiner „Entstehung der Arten“ zu zeigen versucht, wie diese sterilen Wesen der Thätigkeit der natürlichen Zuchtwahl unterliegen.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/397&oldid=- (Version vom 31.7.2018)