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irgend eine Wahl eintreten, um einen Genossen zu erlangen, oder die Individuen eines und desselben Geschlechts wären im Stande, mit ihren Nebenbuhlern zu kämpfen.

Fig. 4. Labidocera Darwinii (nach Lubbock).
a) Theil der vordern rechten Antenne des Männchens, ein Greiforgan bildend;
b) hinteres Paar der Thoraxfüsse des Männchens;
c) dasselbe vom Weibchen.

Unterreich der Arthropoden; Classe: Crustaceen. – In dieser grossen Classe begegnen wir zuerst unzweifelhaften secundären Sexualcharacteren, welche oft in einer merkwürdigen Weise entwickelt sind. Unglücklicherweise ist die Lebensweise der Crustaceen sehr unvollkommen bekannt und wir können daher den Gebrauch vieler, nur dem einen Geschlechte eigenthümlichen Structurverhältnisse nicht erklären. Bei den niedrigen parasitischen Species sind die Männchen von geringer Grösse und nur sie allein sind mit vollkommenen Schwimmfüssen, Antennen und Sinnesorganen versehen. Die Weibchen entbehren dieser Organe und ihr Körper besteht oft nur aus einer unförmlichen, sackartigen Masse. Diese ausserordentlichen Verschiedenheiten zwischen den beiden Geschlechtern stehen aber ohne Zweifel in Beziehung zu ihrer so sehr von einander abweichenden Lebensweise und berühren uns in Folge dessen hier nicht. Bei verschiedenen, zu verschiedenen Familien gehörigen Crustaceen sind die vordern Antennen mit eigenthümlichen fadenförmigen Körpern versehen, von denen man glaubt, dass sie als Geruchsorgane fungiren; und diese sind bei den Männchen bedeutend zahlreicher als bei den Weibchen. Da die Männchen schon ohne eine ungewöhnliche Entwickelung ihrer Geruchsorgane beinahe mit Sicherheit früher oder später im Stande sein würden, die Weibchen zu finden, so ist die bedeutendere Anzahl der Riechfäden wahrscheinlich durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden, und zwar dadurch, dass die besser damit ausgerüsteten Männchen bei dem Finden von Genossinnen und dem Hinterlassen von Nachkommenschaft am erfolgreichsten gewesen sind. Fritz Müller hat eine merkwürdige dimorphe Species von Tanais beschrieben, bei welcher das Männchen durch zwei distincte Formen repräsentirt wird, welche niemals in einander übergehen. Bei der einen Form ist das Männchen mit zahlreicheren Riechfäden, bei der andern mit kräftigeren und verlängerteren Chelae oder Scheeren versehen, welche dazu dienen, das Weibchen festzuhalten.

Fritz Müller vermuthet, dass diese Verschiedenheiten zwischen den beiden männlichen Formen einer und derselben Species dadurch entstanden sein dürften, dass gewisse Individuen in der Anzahl ihrer Riechfäden variirt haben, während bei andern Individuen


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/362&oldid=- (Version vom 31.7.2018)